21 | 11 | 2014 | Reisen | 1 | 4864 |
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Das Land der schönen Nebensachen
Schweden ist für passionierte Fischer mit Familie ein ideales Ferienziel. Die unendlich langen Mittsommertage bieten Gelegenheit zur ausgiebigen Pirsch, wenn Nachwuchs und bessere Hälfte selig schlummern. Für den Nachwuchs sind die fischreichen Seen der perfekte Einstieg.
Wann beginnt in Värmland ein Mittsommermorgen? Zu einer sterndunklen Nacht reicht der halbherzige Ausflug der Sonne hinter den Waldrand nicht. Der Himmel bleibt hell und weit, der See schimmert wie frisch gegossenes Silber. Kein Hauch bewegt die Oberfläche. Wie unendlich feine Scherenschnitte spiegeln sich darin die scharfen Umrisse von Schilf und Uferbäumen. Vom Rand des Föhrenwalds klagt ein Kauz, als sei ihm dieses bisschen Nacht zu wenig. Sonst ist es still wie in einer Kirche. Ausser mir scheinen nur ein paar nachtaktive Geschöpfe unterwegs zu sein. Es ist bald vier Uhr und ich bin mitten in den Sommerferien!
Das Rumpeln und Poltern beim Einladen meiner Ausrüstung ins Aluminiumboot passt so gar nicht in die Morgenstille. Als dann noch der Aussenborder losknattert, flattert der Kauz beleidigt von seinem knorrigen Eichenast und verschwindet. Ein lautlos dahin gleitendes Kanu wäre eindeutig harmonischer, aber ich brauche den Motor in diesem weitläufigen Revier. Vom Steg und rund um die Insel gegenüber dem Ferienhäuschen lassen sich zwar anständige Egli und Hechte fangen, aber ich habe in meiner Fischerzeit vor dem Frühstück andere Räuber im Sinn. Dieser See ist bekannt für schöne Zander. Aber eben nur an bestimmten Plätzen.
Strömung und Steine = Hotspot
Nach einer Viertelstunde Fahrt erreiche ich mein Ziel. Die üppigen Schilfwiesen vor dem dichten Wald machen Platz für rötliche Granitklippen. Auf dem Echolot erkenne ich, wie der Seegrund rasch ansteigt. Aus weichem Lehm wird Kies. Auf der Wasseroberfläche zeigen sich die ersten Anzeichen der Strömung, die in dieser flussartigen Verbindung zwischen den Seen Ränken und Hugn herrscht. Ich fahre langsam und in weiten Bögen, bis die gesuchten Löcher und Rinnen, die ich hier vor ein paar Tagen entdeckt habe, auf dem Display auftauchen. Einen Steinwurf vom Ufer fällt der Grund von knapp zwei auf elf Meter ab und siehe da: Am holprigen Felsgrund sind sie wie erhofft zu sehen, die fetten Sicheln!
Ich lasse mich etwa zwanzig Meter abtreiben und ankere im deutlich flacheren Wasser stromabwärts. Von hier aus kann ich meinen Jig in den mächtigen Gumpen werfen und ihn dann mit der Strömung langsam über den Grund zurück zum Boot führen. Der giftgrüne Twister am 18-Gramm-Kopf taumelt ein erstes Mal an gespannter Schnur zum Grund. Der Aufprall des Köders auf den harten Grund ist durch die 0,14er-Geflochtene als deutliches Klopfen bis in den Handgriff zu spüren. Zudem sehe ich, wie die Schnurspannung nachlässt. Die Rutenspitze zeigt unbewegt aufs Wasser, den Köder führe ich allein mit der Rolle. Zwei schnelle Umdrehungen und der Twister «flüchtet» und taumelt an gespannter Schnur wieder zum Grund zurück. Ein trockenes Tock verrät den Aufprall, die leuchtend gelbe Schnur entspannt sich. Ich kurble, aber diesmal kommt kein Tock. Oha, Biss! Der Jig wurde kurz vor dem Aufprall eingesaugt. Ich schlage an und spüre ein erfreulich heftiges Schütteln. Zander! Im ersten Morgenrot scheint seine breite goldene Flanke unwirklich zu leuchten. Ein schöneres Zanderfischen hab ich nie erlebt.
Gemütliche Suche
Findet man keine eindeutigen Zanderstandplätze, lohnt es sich in vielen schwedischen Seen auf die Stachelritter zu schleppen. Am besten mitten im Freiwasser weit über dem Grund. Wobbler von zehn bis 15 Zentimeter Länge, auch in klarem Wasser in grellen Farben wie Firetiger, bringen neben Zandern oft auch grosse Egli und so manchen Hecht an den Haken. Mit zwei Ruten schleppte ich in jenen Gewässern, die ich bisher so befischt hatte, selten länger als ein paar Minuten ohne Biss, so dass sich diese sonst eher langweilige Methode sogar fürs Familienfischen anbietet.
Eine andere Art der Suche ist in Schweden ebenfalls lohnend und faszinierte meine Kinder fast noch mehr als das kurzweilige Fischen. Der Pilzreichtum der nordischen Wälder ist in manchen Jahren unfassbar. Wer hier keinen Steinpilz findet, muss zum Augenarzt. Manche Waldlichtungen schimmerten schon von Weitem in leuchtendem Gelb. Hier hätte man die Eierschwämmchen mit dem Rasenmäher ernten können.
Der erste Hecht
«Du Papi, muss ich jetzt …? Ui, ein Fisch!» Was immer mich meine siebenjährige Tochter fragen wollte, es war nicht so wichtig, denn ihr Spinnrütchen war jetzt krumm. Die Schnur sauste nach rechts, die Bremse der kleinen Rolle begann zu protestieren. Annalea rief «Hilfe!». In diesem Moment sprang keine fünf Meter vor ihr ein grasgrüner Hecht hoch aus dem Wasser. Tropfen funkelten in der Sonne, als er seinen Kopf wild schüttelte und sich so verabschiedete.
Annaleas weisser Twister flog in hohem Bogen in die Luft. «Das ist gemein!», sagte sie enttäuscht. Aber ihr Jagdtrieb war nach diesem Adrenalinschub definitiv erwacht. Mit erstaunlicher Ausdauer warf sie den Twister aus und liess sich sogar das «Faulenzen» zeigen. Annalea wollte einen Hecht fangen, und zwar unbedingt, bevor das ihrem älteren Bruder Jonas gelang. Dieser las derweil auf der Terrasse des Holzhauses und ahnte nichts von den Plänen seiner Schwester. Ich montierte ein Stahlvorfach und einen grösseren Twister. Annalea war begeistert vom Glitzern des grossen Sichelschwanzes. Mit dem schwereren Köder gelang ihr die Führung noch besser. Es lag in der Luft! Doch Petrus war ein Spielverderber. Nur eine junge Ringelnatter schlängelte aufreizend über den spiegelglatten See. Annaleas Eifer schwand. Also holte ich ihre Schwimmweste und fuhr mit ihr auf den See. Ich brachte sie zur Spitze einer kleinen Insel, die sehr hechtig aussah. Annalea warf weit aus, klappte souverän den Bügel zu, straffte die Schnur und wartete wie gelernt auf den Bodenkontakt. Ich wurde stutzig. Kraut? Nein, Hecht! Als er endlich im Feumer lag, war ich so erleichtert, als wäre es ein Rekordfisch. Es ist bis heute Annaleas grösster Fang. Am nächsten Tag wollte Jonas zu der Spitze der kleinen Insel…
Välkommen till Sverige!
Die schönste Zeit für Familienferien an einem der über hunderttausend schwedischen Seen ist sicher der Hochsommer von Anfang Juli bis Anfang September, wenn die Nächte bereits wieder dunkler werden. Die Pilzsaison beginnt in der Regel Anfang Juli, etwas später darf man auch mit Heidelbeeren rechnen. Liegen stabile Hochdruckgebiete über Skandinavien, was in den letzten Jahren häufiger der Fall war, erwärmen sich viele Seen auf über 20 Grad und laden zum Baden ein. Mit Kanu oder Kajak, die vielerorts vermietet werden, lassen sich die oft idyllisch verwinkelten Seen ideal «erfahren» und erforschen. Eine Schwimmweste ist aber auch bei Badetemperaturen Pflicht! Bei den meisten Miethäusern am See, die vor allem bei schlechtem Wetter etwas familienfreundlicher sind als die ebenfalls zahlreichen Campingplätze, ist zumindest ein Ruderboot inbegriffen. Spezialisierte Fischerreisebüros bieten darüber hinaus fischereilich massgeschneiderte Angebote mit Motorbooten, Echoloten und GPS-Geräten.
Twister, Spinner, Wobbler
Schweden ist ein Paradies für Kunstköderfischer. Es empfehlen sich leichte Ruten für Egli und kleine Hechte, härtere Ruten und Rollen mit Flechtschnur zum Vertikal- und Jigfischen sowie robuste Schleppruten und passende Rutenhalter. Sämtliche gängigen Kunstköder funktionieren in den oft riesigen und nur schwach befischten Gewässern. Stahlvorfach nicht vergessen! Eine gewisse Auswahl in Bezug auf Ködergrösse, Lauftiefe und Aktion ist sicher ein Vorteil, aber man kann auch mit einem simplen weissen Twister oder einem Mepps Nr. 3 viele und schöne Fische fangen. Bei allem Fischreichtum muss man allerdings auch in Schweden die Fische suchen. Auch hier gilt: Neunzig Prozent der Fische konzentrieren sich auf zehn Prozent des Wassers.
Das schwedische Hüttenleben lässt alle Kinderherzen höher schlagen. Das ganze Land kommt einem vor wie ein riesiger Abenteuerspielplatz. Allerdings sollte man als Eltern die Risiken des allgegenwärtigen Wassers und der ungewohnten Wildnis nicht unterschätzen. Für die Kinder war dieser Nervenkitzel das Tüpfelchen auf dem i, so nach dem Strickmuster: «Ui, war das jetzt ein Bär…?»
Meine Familie und ich haben in Schweden unvergessliche Momente erlebt und uns in der Stille und Weite des Landes wunderbar erholt von der heutzutage unvermeidlichen Hektik. Im ewigen Dämmerlicht der Mittsommernacht genoss ich zudem eine Fischerei, die trotz begrenzter Angelzeit besser war, als ich es auf vielen «Vollzeit»-Fischerreisen erlebt habe.
Dominic
Schöner Bericht. An welchem See warst du?