18 | 08 | 2020 | Schweiz | Praxis | 4 | 10904 |
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Die asiatische Körbchenmuschel
Die asiatische Körbchenmuschel ist in Schweizer Gewässern ein mittlerweile weit verbreitetes Neozoon. Für einmal soll aber nicht ihre Verbreitung im Fokus stehen, sondern der Umstand, dass sie ziemlich gut schmecken soll. «Petri-Heil» macht sich mit Rechen und Kessel auf zu einer Sandbank und betritt kulinarisches Neuland.
Es beginnt bei einem Spaziergang am Zürichsee. An einem Naturstrand entdecke ich in einer Ecke, in der sich allerlei Schwemmgut anhäuft, eine Ansammlung von Muschelschalen. Es müssen hunderte sein. Bei genauerer Betrachtung kann ich sie als abgestorbene asiatische Körbchenmuscheln taxieren. Dem Strand vorgelagert ist eine Sandbank mit hüfttiefem Wasser, die sich etwa 40 Meter weit in den See hinaus erstreckt. Habe ich nicht irgendwo mal aufgeschnappt, dass diese Muscheln essbar sind? Plötzlich werden Kindheitserinnerungen wach an einen Strandtag in Norditalien, an welchem ich mit meinem Onkel Venusmuscheln, also Vongole sammeln gegangen bin, die ich tapfer mit der blossen Hand aus dem Schlick geklaubt habe. Tapfer deshalb, weil man mit der Hand immer auch auf einen Krebs zu stossen drohte, der einem mit seinen Scheren einen empfindlich Zwick versetzen konnte. Am Abend gab es dann die wohl besten Spaghetti alle Vongole, die je aufgetischt wurden. Warum also nicht mit den hiesigen Körbchenmuscheln einen schönen Teller Spaghetti machen?
Ganzjährig essbar
Eine Faustregel zum Muschelverzehr lautet, man solle Muscheln nur in den Monaten mit einem «R» essen, also von September bis April. Da es bereits Juni ist, erkundige ich mich bei einem, der es wissen muss. Manuel Vock sammelt die Süsswassermuscheln professionell und verkauft sie über das Start-Up «Umami» an Restaurants der Region. Manuel versichert mir, dass man Muscheln aus dem Zürichsee das ganze Jahr über bedenkenlos verspeisen könne. Im Sommer sei der Ertrag einfach etwas geringer, weil die Muscheln die warmen Temperaturen nicht besonders gut ertragen und darum schwerer zu hältern sind. Ich bedanke mich für den Freipass, es kann also losgehen.
Weichen Untergrund finden
Ausgerüstet mit Neoprenanzug, Schwimmschuhen, einem Kessel und einem Rechen, an dem ich zusätzlich noch zur Hälfte einen Gitterdraht mit 0,8-cm-Abständen befestige, mache ich mich auf zu besagtem Naturstrand am Zürichsee. Ich warte, bis keine Badegäste mehr da sind, bevor ich ins Wasser steige, wohlwissend, dass ich so ausgestattet ein sonderbares Bild abgebe. Ich wate, bis ich an einer Stelle bin, an der ich keine Seepflanzen, keine Steine, nur reinen Sand unter mir wahrnehme. Ich will ja nicht den Seeboden umpflügen, sondern ihn so schonend wie nur möglich bearbeiten. Schon nach wenigen Zügen über den Grund bleiben neben reichlich Schlick auch die ersten Körbchenmuscheln am Rechen hängen. Die grössten sind knapp 3 cm breit. Langsam wate ich weiter hinaus, bis ich auf einmal gefühlte 20 cm im Schlick einsacke. Die Stelle erlaubt es, dass der Rechen tiefer durch den Sand gezogen werden kann. Und tatsächlich gibt der weiche Schlick auch mehr Muscheln her. Man kann die Muscheln natürlich auch mit Taucherbrille und Schnorchel sammeln gehen. Ihre Spitzen ragen zuweilen leicht über den Sand. Sieht man eine, entdeckt man plötzlich noch zahlreiche mehr, wie mir Manuel verriet. Wie ich weiter nach Muscheln suche, höre ich keine zwei Meter neben mir ein leises Schnattern. Ein Schwan hat sich unbemerkt zu mir gesellt und versucht im aufgewirbelten Sand noch etwas Fressbares zu finden. Auf einmal merke ich, was für eine Ruhe um mich herum eingekehrt ist und welche Ruhe auch in mir entstanden ist. Ich erlebe so etwas wie ein «Momentum». Kein Vergleich zu meinen gewohnten Fischerabenteuern mit wilden Fluchten von Hechten und dergleichen, aber definitiv eine Erfahrung wert. Nach einer knappen Stunde habe ich genug Muscheln für ein schönes Essen zu zweit beisammen.
Eine nutzbare Ressource
Betrachte ich meine Ausbeute, so muss der Bestand dieser Muscheln im Zürichsee beträchtlich sein. Aber ist diese neue Art auch ein Problem für den See? Vor über 20 Jahren fand man die ersten Exemplare der Muschel, die eigentlich Grobgerippte Körbchenmuschel (Corbicula fluminea) heisst, im Rhein bei Basel. Sie wurde aus Südostasien eingeschleppt und verbreitet sich seither in Ermangelung von Fressfeinden unkontrolliert in Schweizer Seegründen und Bachbetten. Ihren Einfluss auf das Ökosystem Zürichsee schätzt Manuel Vock folgendermassen ein: «Das Auftauchen der Körbchenmuschel schliesst die ökologische Lücke, die sich durch den Verlust der einheimischen im Sand lebenden Muscheln aufgetan hat. Sie filtert das Wasser, ernährt sich von Detritus (zerfallende organische Substanzen) und verdrängt keine einheimischen Arten, womit sie eine Bereicherung für das Ökosystem ist und eine Ressource darstellt, die wir nutzen sollten.» Nun möchte ich zuerst einmal selbst erfahren, wie sie schmecken.
Unbedingt nachmachen:
Spaghetti alle corbiculae flumineae
Vor dem Kochen wässere ich die Süsswassermuscheln eine Weile, damit sie so viel Sand wie möglich freigeben können, auch wenn ein bisschen Knirschen zwischen den Zähnen zu jedem guten Muschelessen dazugehört. Als Vorspeise gibt es ein Crostini mit Tomaten und Rucola, garniert mit Körbchenmuscheln und als Hauptspeise Spaghetti alle corbiculae flumineae. Dafür nehme ich ein klassisches Spaghetti-alle-vongole-Rezept und ersetze lediglich die Venusmuscheln mit Körbchenmuscheln. Das Resultat überzeugt: Die Muscheln schmecken leicht süsslich, mild nussig mit einem Hauch Zürichsee im Abgang. Mein Fazit: An die klassischen Vongole reichen die Körbchenmuscheln nicht ganz heran, aber auch die Süsswasser-Alternative schmeckt prima und kann einen Hauch Italianità ins Haus bringen. Wie schon bei den ungebetenen Schwarzmeergrundeln zeigt sich auch hier: Wir können sie wohl kaum je wieder loswerden, aber immerhin genüsslich verspeisen.
Crostini mit Körbchenmuscheln
- Eine halbe Zwiebel
- Paillasse-Brot
- Bund frischer Rucola
- Cherrytomaten
- Olivenöl
- Etwas Butter
- Eine kleine Schale Muscheln
Brötchen in gewünschte Form schneiden und im auf 200 Grad vorgeheizten Ofen zwei Minuten leicht knusprig werden lassen. In einer Pfanne einen halben Bund Rucola in halbfingergrosse Stücke zupfen und ca. 150 Gramm Cherrytomaten (lieber die etwas teureren nehmen) halbieren und mit gehackten Zwiebeln in Olivenöl 2 Minuten leicht andünsten. Parallel dazu eine Schale Muscheln in langsam zerlaufener Butter in Pfanne auf mittlerer Stufe schwenken, bis sie aufgehen, mit Meersalz würzen. Brötchen mit angedünstetem Gemüse belegen. Muschelfleisch mit Löffeli aus Schale lösen und mit etwas Buttersud auf dem belegten Brötchen verteilen. Fertig.
Spaghetti alle corbiculae flumineae
Die Zutaten für 2 Personen:
- Ein Schale Körbchenmuscheln ca. 150-200 Gramm
- 300 Gramm Spaghetti
- 4 Knoblauchzehen
- 1 Zwiebel
- Olivenöl
- Frische Petersilie
- 1-2 dl Weisswein
- Meersalz
Knoblauch und Zwiebeln fein gehackt leicht andünsten in einer Pfanne. In anderer Pfanne die Muscheln mit Meersalz würzen, in Olivenöl ein paar Minuten auf mittlerer Hitze schwenken, bis sie aufgehen. Dann Weisswein zum Ablöschen hinzugeben und auf kleiner Hitze 2 Minuten köcheln. Parallel dazu die Spaghetti im Salzwasser bis zur gewünschten Bissfestigkeit kochen. Wenn die Spaghetti fertig sind, abtropfen lassen und in die Pfanne zu den Muscheln im Sud dazugeben und verrühren. Von der anderen Pfanne den Knoblauch/die Zwiebeln dazugeben und alles sachte verrühren, damit die Muscheln nicht auseinanderfliegen. Mit Petersilie garnieren.
Fertig.
4 Kommentare
Antworten an: Ein Fischzüchter
Nils Anderson | 19 | 08 | 2020 |
was ist denn beispielsweise mit dem Freiangelrecht, dem Waldbegehungsrecht, dem Pilzsammeln, dem Campieren oberhalb 1800 Meter? Alles ohne Bewilligungspflicht in der Schweiz ????
Manuela | 10 | 04 | 2024 |
Oh, das möchte ich auch versuchen! Gibt es in der Schweiz giftige oder unbekömmliche Muscheln? Besteht Verwechslungsgefahr? Danke für diesen schönen Beitrag!
Nils | 10 | 04 | 2024 |
hallo Manuela
das ist eine gute Frage!
per se sind hierzulande keine giftigen Muscheln bekannt.
Muscheln nehmen jedoch viele Umweltgifte in sich auf. So könnte es auch sein, dass bei einer Blaualgenplage (gibt's im Sommer, wenn den Hunden das Baden verboten wird) die Muscheln in den seichten Uferregionen tatsächlich kurzzeitig giftig sind.
Grundsätzlich ist es aber so: wo, resp. wann das Baden und das Fischessen kein Problem ist, ist auch das Muschelessen bedenkenlos möglich.
Übrigens werden auch die Miesmuscheln und Austern im Meer vorzugsweise in der kalten Jahreszeit geerntet und gegessen, weil es dann weniger problematische Mikrooorganismen und Viren im Wasser hat.
Was es auch gibt, sind geschützte Muscheln (die sind aber viel grösser).
Ein Fischzüchter
….und dann kommt sicher irgendein oberschlauer Beamter auf die Idee, dass das Muschelsammeln doch auch ne Bewilligung braucht! denn nur dann liebe Schweizer, seid ihr auch wirklich in der Schweiz!
…en Guete….!