26 | 03 | 2024 | Praxis | 3 | 4237 |
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Gespliesste Angelruten: Noch immer zeitgemäss
Vergleichsweise wenige Fliegenfischer angeln heute noch mit Gespliessten, und so sind die wahren Eigenschaften von Bambus kaum mehr bekannt. Und wenn Dinge nicht bekannt sind, entwickeln sich falsche Vorstellungen rasch zu Mythen. Philipp Sicher fischt ausschliesslich mit gespliessten Angelruten. Nicht nur das, er baut sie auch selbst!
Auf einer Alaska-Reise vor Jahren war mein Ziel der Fang eines grossen Königslachs mit der gespliessten Fliegenrute. Nie vergesse ich den Blick unseres lokalen Guides, der auf diesem unvergesslichen Trip auf dem Klutina unser Schlauchboot steuerte. Ungläubig, als er realisierte, dass ich mit einer Bambusrute fischen wollte. Ein absolutes No-Go in seinen Augen. Er versuchte, mich vor einer Enttäuschung zu bewahren und bot mir eine seiner Kohlefaserruten an – was ich dankend ablehnte. Seinen Blick am Abend werde ich ebenfalls nicht vergessen. Auf dem Tisch lagen zwei Ruten, beide hatten Drills mit grossen Fischen hinter sich. Meine Gespliesste war dreiteilig, wie sie gebaut war, und seine vierteilige Kohlefaserrute lag dort zerbrochen in fünf Teilen. Die Diskussion über die Qualitäten von Bambus war hinfällig.
Ich will mit diesem Artikel versuchen, einige falsche Vorstellungen über gespliesste Ruten zu revidieren und erklären, warum ich persönlich moderne Bambusruten für die Fliegenfischerei bevorzuge.
MYTHOS Nr. 1
Bambusruten sind empfindlicher als Graphitruten
Oft höre ich, dass Bambusruten sorgfältig behandelt werden müssten, sie seien filigran und empfindlich. Vielleicht rührt dies daher, dass moderne Gespliesste sehr edel und wertvoll aussehen. Vielleicht ist das der Grund, dass sie oft vererbt werden, daher emotionellen Wert geniessen und geschont werden. Menschen neigen (zurecht) dazu, edle, ältere Dinge oder Antiquitäten mit viel Sorgfalt zu behandeln. Kennt man aber die Eigenschaften von Bambus, ist dieses Mass an Sorgfalt unnötig. Bambus wird in vielen asiatischen Ländern zum Gerüstbau oder zum Bau stabiler Möbel verwendet. Bambus ist als Material bemerkenswert stabil. Die Zugfestigkeit (d. h. die maximale Kraft, die ein Material aushalten kann, wenn es gedehnt oder gezogen wird, bevor es bricht) ist mehr als doppelt so hoch wie die von Holz. Und die spezifische Zugfestigkeit (d. h. die Stärke eines Materials im Verhältnis zu seiner Dichte) ist etwa drei- bis viermal so hoch wie die von Stahl.
Das bedeutet, dass eine Gespliesste in der Praxis auf Bruch kaum empfindlich ist, weniger als andere Materialien. Zuschlagende Kofferraumdeckel wird aber keine Rutenspitze überleben, egal aus welchem Material sie ist. Ein anderes Beispiel: Eine Goldkopf-Nymphe, die im Wurf an die Spitze einer Kohlefaserrute schlägt, hinterlässt in der Regel eine Verletzung des Materials, welche häufig im Drill zum Bruch der Spitze führt. Dieselbe Nymphe an die Spitze einer Gespleissten erfordert lediglich einen Tupfer Lack, damit sie wieder schön aussieht.
Ich greife oft auf eine einfache Wette des deutschen Rutenbauers Rolf Baginski zurück und sage: «Ok, lass uns Folgendes machen: Du legst deine Kohlefaserrute auf den Boden. Ich lege meine Bambusrute ebenfalls hin. Und nun stehen wir beide auf unsere Ruten. Derjenige, der das nicht wagt oder in der Folge nicht mehr fischen kann, weil seine Rute kaputt ist, bezahlt das Abendessen.» Ich stehe immer drauf und ich musste das Essen noch nie bezahlen.
FAKT 1: Bambus ist stabil und hat eine extrem hohe Festigkeit.
MYTHOS Nr. 2
Gespliesste sind schwer
Die alten gespliessten Ruten waren Schwergewichte und lang, 9 Fuss und mehr. Aufgrund der damaligen technischen Möglichkeiten und der geringen Qualität der verwendeten Kleber mussten die Ruten stark überdimensioniert werden. Hohes Gewicht, das auch die Aktion der Rute negativ beeinflusste, war das Resultat. Nicht zu Unrecht tauchte dafür der Begriff «Kuhschwänze» auf. Leider hat sich dies, vermutlich in Unkenntnis moderner Gespliessten, bis heute in den Köpfen der Angler festgesetzt.
Die goldenen Jahre des Gespliesstenbaus waren die 1930er-Jahre, bis Mitte der 1950er-Jahre. Die Pioniere der Rutenbaukunst haben in dieser Zeit Grossartiges entwickelt. Die Ruten für die Fischerei mit Trockenfliege und Nymphe wurden kürzer und immer leichter. Bessere Werkzeuge und stärkere Klebstoffe machten fortschrittliche Hohlbaumethoden möglich, mit einer deutlichen Gewichtseinsparung. Im aktuellen modernen Rutenbau wurde diese Entwicklung noch weiter perfektioniert. Eine heutige Gespliesste in der Schnurklasse #4/5 hat ein Gewicht von weniger als 100 Gramm.
Doch ist absolutes Leichtgewicht erstrebenswert, wie es von der Industrie immer wieder angepriesen wird? Dient es ausschliesslich dazu, das Werfen leichter zu machen oder eher den Geldbeutel?
Fakt 2: Moderne Gespliesste sind punkto Gewicht durchaus konkurrenzfähig.
MYTHOS Nr. 3
Gespliesste sind teuer
Gespliesste Ruten sind in der Regel nicht billig! Man sieht am Wasser aber auch eine Vielzahl Kohlefaserruten, die einer Gespliessten im Preis nicht wirklich viel nachstehen.
Es ist zu bedenken, wie viele Arbeitsschritte zur Herstellung einer Gespliessten erforderlich sind (ca. 40 Arbeitsstunden für eine Standardrute) und in der Regel kommen nur hochwertige Komponenten zur Anwendung. Das hat seinen Preis.
Der Werkstoff Kohlefaser lässt sich mühelos industriell verarbeiten und ist wesentlich billiger als Bambus. Dadurch lassen sich praxistaugliche Ruten preiswert herstellen. Diesen Nachteil können Gespliesste nicht wettmachen. Dafür sind sie aber oft wahre Kunstwerke für die feine, genussvolle Fischerei, und sie behalten einen hohen Wert als Gebrauchtruten.
Fakt 3: Gespliesste sind nicht billig, aber werthaltig.
MYTHOS Nr. 4
Gespliesste sind altmodische «Kuhschwänze» und unangenehm zu werfen
Diese weit verbreitete Meinung gilt unbestritten für die alten und eher schweren Ruten. Deren träge Aktion mit einer starken Biegung bis in den Griff hinein ist eine Folge ihres hohen Gewichts. Auf moderne Ruten trifft das meist nicht mehr zu. Sie sind, in Längen bis etwa 9 Fuss, konkurrenzfähig leicht und dadurch theoretisch mit jeder beliebigen Aktion herstellbar. Die Aktion einer Rute wird im Wesentlichen durch das Mass der Verjüngung vom Handteil bis zur Spitze bestimmt. Dieses Mass (das sog. Taper) ermöglicht es, Ruten herzustellen von einer parabolischen Biegekurve über die gesamte Länge bis hin zu einer schnellen Spitzenaktion. Der Rutenbauer hat es in der Hand, fast jede beliebige Aktion in seine Rute zu bauen.
Es ist aber durchaus nicht so, dass aktuell nur die schnellen Ruten mit ausgeprägter Spitzenaktion beliebt sind. Auch das Fischen hat seine Modeströmungen. So ist wieder ein erfreulicher Trend zu «langsameren» (semiparabolischen und parabolischen) Ruten festzustellen. Der Markt wünscht offenbar wieder sensiblere Ruten für eine feinere Fischerei – nicht Stress, sondern Genussfischen wird gewünscht.
Fakt 4: Moderne Gespliesste bieten einen hohen Genussfaktor beim Werfen.
Und warum fische ich mit Gespliessten?
Bambusruten haben etwas in sich, das mir von Natur aus Freude bereitet. Ein Teil dieses Vergnügens ist bereits die Geschichte: Sie beginnt in einem abgelegenen Teil Chinas mit einem Stück Gras, das geerntet wird, wenn es genügend gross ist, und das immer wieder nachwächst. Danach verbringt ein Handwerker viele Stunden damit, dieses einst lebende Material in ein Werkzeug zu verwandeln, mit dem geangelt werden kann. Dieser rote Faden, vom Ursprung bis zu seiner Perfektion und dem Angelvergnügen damit, ist meine Leidenschaft.
Lust, eine gespliesste Rute selber zu bauen? Philipp Sicher bietet auch Rutenbaukurse an.
> Mehr Infos auf www.bambusruten.ch
Das Rohmaterial
Weltweit sind über 1500 verschiedene Bambusarten bekannt. Nur die wenigsten von ihnen sind aber für den Bau gespliesster Ruten geeignet. Es wird heute fast ausschliesslich chinesischer Bambus verwendet, meist «Tonkin» genannt (Pseudosasa amabilis; früher Arundinaria amabilis).
Dieses Material stammt mehrheitlich aus der Provinz Kwangtung, im Südwesten Chinas. Auch ein paar wenige japanische Arten, bekannt aus dem traditionellen Bogenbau, und in jüngster Zeit eine neue Art aus Vietnam werden verarbeitet. Bambus ist ein schnell nachwachsender Rohstoff mit einer guten Ökobilanz. Entscheidend für den Rutenbau ist die Verteilung der sogenannten Kraftfasern im Bambusrohr. Die hohe Dichte an Kraftfasern, seine Härte und Dehnbarkeit machen Bambus zum idealen Rutenbaumaterial.
3 Kommentare
Kunz Peter | 27 | 03 | 2024 |
Eine von Philipp Sicher gebaute Rute hat mich endgültig zum „Gespliessten-Fan“ gemacht. Die Kombination natürliches, nachhaltiges Material und fischereiliche Geschichte faszinieren mich ebenso wie die handwerklichen Fähigkeiten der Rutenbauer
Stefan Wenger | 29 | 03 | 2024 |
Sehr spannender Bericht über ein wunderschönes Handwerk. Ich bin extrem stolz, dass ich mit Philipp Sicher meine eigene Gespliesste bauen konnte. Sie wird dieses Jahr vermehrt am Bergbach zum Einsatz kommen.
Stefan Keller
Ich hatte das grosse Glück eine gespliesste von Philipp Sicher bei einem 111er Anlass zu gewinnen. Seither fische ich fast immer mit dieser Rute.