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Sorgen und (keine) Perspektiven
27 | 03 | 2020 | Diverses | 0 | 9559 |
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Der Hecht ist der perfekt ausgestattete Jäger unserer Gewässer. Anpassungsfähig, stark, schnell und fast überall zu finden. Er hat wie kein zweiter Fisch das Zeug, um einen Gelegenheitsfischer zum Vollblutfischer zu wandeln. Wer sich genauer mit ihm auseinandersetzt, entdeckt viele spannende Eigenheiten.
Wir waren schon einige Stunden am Fischen, nichts passierte. Unvermittelt spürte mein Bruder in den Weiten des Freiwassers einen kurzen Anstupser. Ich war im Boot nebenan, zählte: «‹Drei, zwei…›, und schon knallte es!» Geschichten über das Hechtfischen haben stets etwas Archaisches an sich; verbissene Köder, unter Wasser gezogene Schlepphunde, zerrissene Vorfächer, demolierte Feumer und blutige Finger säumen die Anekdoten darüber.
Die Beschleunigung eines Hechts aus dem Stand heraus ist etwas vom Eindrücklichsten, was sich unter Wasser beobachten lässt, und die bis zu zwei Zentimeter langen Zähne eines ausgewachsenen Hechts sind respekteinflössend. Ja, ohne den Hecht wäre – zumindest hierzulande – die Fischerwelt eine andere.
Hinzu kommt, dass das Hechtfischen oft genug eigenen Gesetzen folgt. Manchmal bringt stundenlanges Werfen nichts, dabei hat man garantiert die richtigen Stellen gewählt. Windrichtung, Gewässerstruktur, Köderfarbe: Alles stimmt und trotzdem rührt sich nichts. Und dann kann es eine ganz unscheinbare Bucht sein. Wo die Strömung stimmt, die Struktur stimmt, steht nicht etwa nur ein Fisch, sondern alle paar Meter beisst einer. Am nächsten Tag ist der Platz wieder wie leergefegt. Dabei hat man nichts verändert, weder den Köder noch die Montage noch sonst was.
«I wär scho ging gärn e Fischer gsi
Alleini duss i däm Boot
Hätt i e Mordshecht a dr Angle
Mir wär's so läng wi breit
öb i ne usezieh
Oder är mi dry.»
Patent Ochsner
Man kann das Fischen auf Hecht ganz nüchtern betrachten und sehr erfolgreich sein damit, keine Frage. Doch der Zauber liegt wie so oft nicht in der nüchternen Betrachtung. Es ist der Moment, in dem der Grosse einsteigt, der Ort, wo der Biss kommt, die Gedanken, die einen dazu verleiteten, gerade diesen Köder zu montieren. Für mich als Fischer sind das dann keine Fragen der Wahrscheinlichkeit. Da nehme ich lieber Fügung, Schicksal oder die sprichwörtliche Eingebung als Erklärung.
Und so sind es fast schon rein mentale Faktoren, die den Erfolg beeinflussen; die Hechte sind ja schliesslich da, irgendwo in diesem Gewässer. Wenn man fest an den Köder glaubt, funktioniert er auch. Und wenn keiner beisst, hat man eben nicht genug an ihn geglaubt.
Es ist also nicht nur der Jagdstil, die Lebensweise, die schiere Grösse, die den Hecht als Zielfisch so speziell machen. Es ist diese Art der Unvorhersehbarkeit, die den Hecht zum perfekten «Fischerfisch» machen. Beim Egli oder der Bachforelle erlebt man das oft genug ganz anders. Die Bachforelle, da weiss man meistens, wo sie sitzt. Beim Egli merkt man schnell, ob er will oder nicht.
Die Jagdinstinkte erwachen beim Hecht unmittelbar nach dem Eischlupf. Sofort beginnen die Hechtlarven mit der Jagd nach kleinen und kleinsten Wassertieren und wachsen entsprechend schnell. Nach einem Jahr sind die meisten Hechte bereits 15 Zentimeter lang. Mit zunehmender Grösse fressen Hechte alle Arten von Fischen, selbst hochrückige Fische wie Sonnenbarsche sind kein Problem. Auch die eigenen Artgenossen stehen auf dem Speiseplan, durchaus auch in ordentlichen Portionen. Dies dürfte ein Hauptgrund sein, weshalb sich kleine Hechte nicht schon eher im Freiwasser auf Futtersuche machen, sondern bis zu einer halbwegs sicheren Grösse im Kraut bleiben müssen.
Doch was seine Nahrung angeht, bleibt auch der ausgewachsene Hecht erstaunlich flexibel. Karpfenfischern gehen vereinzelt richtig grosse Hechte an die Boilies, Felchenfischer erwischen ab und zu Hechte auf die Nymphe (so Ruben Rod in der Ausgabe 3/2019), ich selbst konnte schon Hechtbisse auf Wurm oder Bienenmade verzeichnen. Andererseits stehen auch kleine Enten, Frösche, zum Teil sogar Blesshühner auf dem Speiseplan.
Ähnlich wie der Egli ist der Hecht ein Haftlaicher. Früher war es üblich, dass drei Jahre nach ausgeprägten Frühlingshochwassern mit einem besonders guten Hechtbestand gerechnet werden durfte; überschwemmte Ufergebiete sind das bevorzugte Laichgebiet. Dies kommt wiederum der Verfrachtung des Laichs entgegen, da sich Wasservögel gerne genau dort aufhalten und so früher oder später befruchtete Hechteier auflesen und allenfalls beim nächsten Zwischenstopp an einem anderen Gewässer «aussetzen». So ist das Laichverhalten des Hechts ein wichtiger Grund für seine weite Verbreitung fast über die gesamte Nordhalbkugel. In den unermesslichen Seen von Finnland, Kanada, Schweden oder Russland findet man Hechte fast ohne Ausnahme. Auch mit Salzwasser kommen Hechte gut zurecht, zumindest in den Küstengebieten der Ostsee. Übrigens lässt sich der Hecht wegen seines Kannibalismus nicht züchten, er bleibt also bis auf Weiteres ein wahrhaftiger Wildfisch.
Die Familie der Hechte zählt zur Zeit sieben Hechtarten. Dies ist eine etwas vorläufige Einordnung, da die verschiedenen Hechtarten noch nicht deutlich und systematisch untersucht wurden. Zwei Hechtarten kommen in der Schweiz vor: Der «gewöhnliche» Hecht Esox lucius, der im Einzugsgebiet von Rhein, Donau und Rhone vorkommt, und Esox cisalpinus, den man in den Tessiner Seen findet. Der Amurhecht in Russland und der Muskie in Nordamerika sind ebenfalls Verwandte des Hechts und es ist davon auszugehen, dass noch weitere Unterarten nebeneinander existieren. So wird neben mehreren Hechtarten auch von drei verschiedenen Muskiearten in Nordamerika ausgegangen. Kreuzungen zwischen Hecht und Muskie kommen übrigens auch vor. Diese sogenannten Tigerhechte sind analog zur sog. Tigerforelle (eine Kreuzung zwischen Saibling und Bachforelle) unfruchtbar.
Hechte können alt und riesig werden. Damit sie eine sichere Grösse, die sie vor anderen Jägern schützt, auch erreichen, brauchen sie in Zeiten des Kunstköderfischens einen guten Mix aus brachialer, zupackender Aggressivität und ebenso wohl dosierter Vorsicht. Hechte können gut lernen. Wer schon einen Hecht beobachten konnte, wie er abrupt vor einem Köder stoppt, sieht nicht nur eine perfekte Raubmaschine, sondern auch ein zögerliches, zurückhaltendes Tier. Fast schon abwiegelnd scheint manchmal das Spiel seiner Brustflossen. Das Zurückhaltende kommt nicht von ungefähr und hat viel mit uns Menschen zu tun. Wo häufig mit Kunstködern oder auch dem toten Köderfisch auf Hecht gefischt wird, überlegen es sich erfahrene Hechte zwei- und dreimal, ob sie zupacken. Zum Teil beobachten sie Artgenossen im Drill und «denken» sich wohl ihre Sache dabei. Solche Hechte können schon fast unfangbar werden und es bedarf aussergewöhnlicher Umstände, um sie zu einem Biss zu verleiten. Hechtbisse kommen nicht von ungefähr auffallend oft genau in dem Moment, wo der Schleppfischer eine Kurve zieht. Oder wo man die Rute anhebt, um den Köder über ein Krautfeld zu führen. Unvergessen ist mir ein Biss auf einen Blinker, der in einem halbmetrigen Aststück hing und den ich so übers Wasser zu mir hinzog.
Am 11. August 1999 gab es eine totale Sonnenfinsternis. Ich war in den Fischerferien und genau in diesen Minuten kam der einzige Hechtbiss des Tages. Eine Sonnenfinsternis richtig einzuordnen, ist für einen Hecht wohl doch etwas viel verlangt. Das Unerwartete, Unvorhergesehene oder Atypische brachte also auch hier den Fisch, und genau bei solchen Fängen kommt der eingangs erwähnte Zauber des Hechtfischens zum Vorschein.
Wie so mancher Fischer habe auch ich die Geschichte meines grössten Hechtfangs x-mal erzählt, in allen Einzelheiten. Ebenso interessant wie der Fang war auch die Fortsetzung. Natürlich war ich «on fire» in den Tagen nach dem grossen Fang, und keine zwei Wochen später versuchte ich zusammen mit einem Freund erneut unser Glück an der gleichen Stelle – ich fing abermals einen Grossen! Ab diesem Moment war ich überzeugt, dass der Fang grosser Hechte für mich von jetzt an eine geschenkte Sache sei ... Es sollten sieben Jahre verstreichen bis zu meinem nächsten Hechtfang an diesem Gewässer.
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