19 | 06 | 2024 | Diverses | 0 | 2075 |
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Nicht nur die Dosis macht das Gift
Grenzwerte spielen eine grosse Rolle bei der Anwendung von Pestiziden: Wie viel darf man ausbringen, ohne dass es (zu) gefährlich wird? Die in der Praxis eingesetzten Mengen haben dramatische Effekte auf Organismen. Noch schlimmer wird die Sache bei Wirkstoffkombinationen.
Die Erhaltung der Biodiversität beschäftigt uns immer stärker und stellt mittlerweile eine riesige und wichtige Herausforderung dar. Heute beeinflusst die Menschheit den Planeten und seine Lebewesen tiefgreifend. Eine dieser Beeinflussungen ist das bewusste Ausbringen giftiger Stoffe in die Umwelt.
Die Dosis macht das Gift
In wissenschaftlichen Artikeln über Fische kommt immer wieder der Begriff LD50 vor. Damit handelt es sich um die Dosis eines Gifts, bei welcher die Hälfte der Population bei einer bestimmten Einnahmeart nach einer gewissen Dauer stirbt. Bei einem Wirkstoff mit einer Toxizitätsangabe LD50 von 15mg/kg heisst das beispielsweise, dass bei einer Abgabedosis von 15 mg/kg die Hälfte der darauf getesteten Lebewesen mit einem Kilo Körpergewicht daran sterben wird. Natürlich werden solche Toxizitätsdaten von den Firmen sehr zurückhaltend gehandhabt und sind oft nur schwer zugänglich. Häufig werden die Einnahmeart und die Expositionszeit gar nicht erst angegeben.
Grosse Unterschiede in der Wirkung
Die Toxizität eines Stoffes auf unterschiedliche Lebewesen unterscheidet sich sehr stark. Aus Kostengründen wird die Toxizität nicht für alle wichtigen Tier- und Insektenarten bestimmt, sondern bezieht sich häufig nur auf Ratten und Mäuse. Das schränkt Interpretationen und Vergleiche zur Giftigkeit des Wirkstoffs auf Insekten oder andere Wasserlebewesen massiv ein und macht solche Kennzahlen in vielen Fällen unbrauchbar.
Tödliche Anwendungsmengen
Als Beispiel verweise ich auf das breit verwendete Fungizid Flint®. Es enthält den Wirkstoff Trifloxystrobin und wird u. a. bei Beerenkulturen angewendet mit einer Dosis von 200–500 g pro Hektare, entsprechend 20-50 Milligramm pro Quadratmeter oder 2000-5000 Nanogramm pro Quadratzentimeter. Aus dem Sicherheitsdatenblatt geht hervor, dass die Toxizität – also die LD50 – für die Regenbogenforelle bei einer Konzentration von 0,036 mg pro Liter Wasser liegt, wenn diese Konzentration vier Tage anhält. Beim Grossen Wasserfloh hingegen reicht bereits dreimal weniger, um in derselben Zeit die Hälfte auszulöschen. Bei kleinen Insekten wird durch die obengenannte Anwendungsdosis Flint® die tödliche Dosis auf der behandelten Fläche um mehr als das Zehnfache überschritten! Heutzutage werden die Wirkstoffe zunehmend als Kombination angeboten. Dadurch mag zwar einerseits der schädliche Einfluss einzelner Wirkstoffe vermindert werden. Doch andererseits können sich so gegenseitig verstärkende Effekte voll entfalten und noch grösseren Schaden anrichten. Die Toxizität einer Kombination verschiedener Wirkstoffe kann sich um das Hundertfache und mehr verstärken. Studien zur Wirkweise solcher Cocktails wären unbedingt notwendig, werden aber (wenn überhaupt) nur sehr zurückhaltend durchgeführt.
Insektenrückgang eine logische Folge
Für mich ist es offensichtlich, dass toxische Wirkstoffe in der Umwelt ein wesentlicher Grund für die breit beobachtete Abnahme der Insektenpopulationen und der damit verbundenen Veränderungen der Biodiversität sind. In der Landwirtschaft werden zurzeit sogar noch viel toxischere Wirkstoffe als Flint® eingesetzt. Leider müssen wir davon ausgehen, dass mit einer noch schnelleren und umfassenderen Abnahme der Insektenpopulationen mit allen biologischen Konsequenzen zu rechnen ist. Wie stark die Insektenabnahme ist, lässt sich im Sommer an den heute bleibend sauberen Kühlergrills und Frontscheiben der Autos erkennen.
Den Nahrungsmangel bekämpfen
Eine Folge des allgemeinen Rückgangs von Kleinlebewesen ist, dass viele Fischpopulationen derzeit einen Nahrungsmangel erleiden. Zusätzlich verschärft sich die Problematik, indem durch das geringere Gewicht der Fische die Empfindlichkeit gegenüber Belastungen zusätzlich zunimmt. Fehlt die Nahrung und ein Giftcocktail schlägt noch auf die Gesundheit, helfen auch die umfassendsten Renaturierungen und Schonmassnahmen den Bachforellen und anderen insektenfressenden Tieren nicht mehr.
Es ist höchste Zeit, die Verbreitung von Giftstoffen in der Landwirtschaft und Gärtnerei massiv zu verringern und zu kontrollieren, insbesondere in der Nähe von Gewässern. Die Abwasserreinigungsanlagen sind endlich um weitere Stufen auszubauen, um nicht nur zivile Abfallstoffe und Nährstoffe, sondern auch Pestizide und biologisch aktive Substanzen (Medikamente, Hormone) effizient aus dem Kreislauf zu entfernen. Letztendlich sind nicht nur die Fische, sondern auch wir Menschen direkt davon betroffen.
Der Autor
Dr. Walter Schilling hat an der ETH Naturwissenschaften studiert und in leitenden Positionen der Pharmaforschung zweier Basler Firmen gearbeitet. Inzwischen ist er pensioniert und identifiziert Giftstoffe als Hauptursache des Zusammenbruchs von Insektenpopulationen und der mit ihnen verbundenen Lebewesen.
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