01 | 03 | 2019 | Praxis | 1 | 7770 |
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Vom Haken zurück ins Wasser
Todesurteil oder neue Chance?
Manchmal gibt es gute Gründe, einen gehakten Fisch wieder zurückzusetzen. Zuoberst stehen dabei Fische, die das Schonmass nicht erreicht haben oder sich gerade in der Schonzeit befinden. Doch was geschieht mit diesen Fischen, nachdem wir sie vom Haken gelöst haben?
Dieser Artikel entstand im Rahmen des letzten FIBER-Seminars, in welchem der Einfluss, den wir als Angler auf Fische und Fischbestände haben, thematisiert wurde. Hier wird diese Thematik noch einmal aufgegriffen und die Hakenmortalität von freigelassenen Fischen ein bisschen genauer angeschaut.
Das Angeln mit der festen Absicht, einen gefangenen Fisch wieder freizulassen, ist in der Schweiz aus Gründen des Tierschutzes gesetzlich verboten. In gewissen Fällen kann ein Fischer aber einen individuellen Entscheid zugunsten eines bestimmten Fischs treffen. So können Fische, die unbeabsichtigt gefangen wurden oder ökologisch wertvolle Tiere sind, wieder zurückgesetzt werden, um den Bestand zu schützen. Eine weitere Ausnahme zur generellen Entnahmepflicht gefangener Fische kommt jedoch weit häufiger zum Zug: Bei Fischen, die das Fangmindestmass nicht erreichen, sowie bei Arten, die entweder zeitlich eingeschränkt oder sogar komplett geschont sind, ist das unmittelbare Zurücksetzen Pflicht. Mit dieser Massnahme soll primär die Naturverlaichung und somit der Erhalt der Population sichergestellt werden. Das Schonmass wird in der Regel so angesetzt, dass sich jeder Fisch mindestens einmal in seinem Leben fortpflanzen kann, und die Schonzeit gewährt den Fischen die nötige Ruhe, um ihrem Laichgeschäft nachgehen und sich anschliessend davon erholen zu können.
Was geschieht mit einem zurückgesetzten Fisch?
Alleine die Tatsache, dass manche Karpfen in England einen Namen erhalten und über Jahre, manchmal sogar über ein Jahrzehnt hinweg immer wieder gefangen werden, deutet darauf hin, dass zurückgesetzte Fische durchaus überlebensfähig sein können. Vielleicht konnte der eine oder andere auch schon einen Hecht fangen, der noch den Köder eines Voranglers im Rachen hatte, welcher unvorsichtigerweise ohne Stahlvorfach angeboten wurde. Gleichzeitig haben es aber sicher auch schon einige erlebt, dass eine Felche, speziell im Sommer, durch die Hitze und den Druckunterschied im Drill quasi schon beim Anfassen stirbt. Offensichtlich sind die Überlebenschancen also sehr unterschiedlich und von Situation und Fischart abhängig.
Empfindlichere und weniger empfindliche Fischarten
Prof. Robert Arlinghaus und seine Kollegen haben im Zuge einer grossen Untersuchung die Sterbewahrscheinlichkeit der wichtigsten Süsswasserfischarten beschrieben, die mit der Angel gefangen und anschliessend wieder zurückgesetzt wurden. Erfreulicherweise zeigte sich, dass untermassige Fische generell mit der gleichen Wahrscheinlichkeit unbeschadet zurückgesetzt werden können wie massige Fische. Ein korrekt angesetztes, an die Art und Population angepasstes Schonmass oder sogar Fangfenster ist also durchwegs vertretbar und kann einen effektiven Schutz für die Bestände darstellen. Der empfindlichste Fisch in Schweizer Gewässern ist gemäss der Untersuchung – vielleicht unerwartet – der Zander. So starb über ein Viertel (27,5%) aller in die Metaanalyse einbezogenen Zander nach dem Fang. Am anderen Ende der Skala, und somit am wenigsten empfindlich, waren Karpfen. Nur 3,3% starben nach dem Fang und dem anschliessenden Zurücksetzen. Zu den eher unempfindlichen Fischen gehören auch Hecht (7,1% Sterblichkeit) und Egli (11% Sterblichkeit), sowie die Forelle (7,4% Sterblichkeit).
Köder ist nicht gleich Köder
Natürlich hängt die Mortalität nicht nur von der gefangenen Fischart ab, sondern auch von der Methode, mit der geangelt wird. Dabei hat die Art des Hakens einen untergeordneten Einfluss auf die Sterblichkeit direkt nach dem Fang. Drillinge und Einzelhaken unterschieden sich nicht wesentlich in ihrer Wirkung, hingegen richten Modelle mit Widerhaken eindeutig mehr Schaden an als solche ohne. Den grösseren Einfluss hat aber die Köderwahl. So starben 25,9% aller zurückgesetzten Fische, die mit Wurm oder Köderfisch gefangen wurden – bei Spinnern, Wobblern oder Gummifischen hingegen nur 11,4%. Am extremsten scheint dieser Unterschied bei Lachsen zu sein: In einer Studie aus Übersee konnte aufgezeigt werden, dass 35% aller mit Wurm gefangenen Lachse, aber nur 4% aller Fische, die mit der Fliege gefangen wurden, starben. Natürlich bietet auch ein Kunstköder keine Garantie gegen Verletzungen. Die freien Drillinge von schlanken Wobblern bleiben oft im Kopf- oder Kiemenbereich von Räubern hängen, und auch andere Köder sind nicht immer harmlos. Trotzdem zeigt sich, dass Kunstköder für den Fisch weniger schädlich sind. Hauptsächlich wohl, weil Kunstköder in der Regel aktiv und «auf Zug» geführt werden. Beim Biss erfolgt der Anschlag meist direkt. «Verschläft» man ihn, lässt der Fisch gleich wieder los, weil sich der Köder unnatürlich anfühlt. Bei einem Wurm oder toten Köderfisch ist die Chance eines tiefen Schluckens um einiges höher. Beim Hakenlösen gibt es dann oft Verletzungen, die letztlich den Tod des Fisches zur Folge haben können. Im Salzwasserbereich werden sogenannte circle hooks oder Rundhaken (siehe Kasten) verwendet, die darauf ausgelegt sind, ausschliesslich im Mundwinkel zu haken und damit das Hakenlösen deutlich vereinfachen.
Weitere Faktoren
Wie nicht nur jedem Fliegenfischer bekannt ist, gibt es wohl kaum eine schonendere Methode, um untermassige Fische vom Haken zu befreien, als diese noch unter Wasser abzuhaken. Wenn man dies auch noch tun kann, ohne etwas anderes als die Fliege anzufassen, wird der Fisch optimal geschont. Zudem ist darauf zu achten, dass der Fisch nicht unnötig lange gedrillt und ein Feumer verwendet wird. Bei der Landung sollte ein Hochheben des Fischs am Köder vermieden werden. Dabei wird vom im Maul festsitzenden Köder eine Zugbelastung erzeugt, auf die das Skelett der Fische nicht ausgerichtet ist.
Vorsicht, bitte!
Ein weiterer, gewichtiger Faktor ist die Behandlung des Fischs beim Hakenlösen. Das Lösen ist leider in den seltensten Fällen ohne kurzes Anfassen möglich – dabei ist darauf zu achten, dass die Hände vorher nass gemacht werden und der Fisch nicht zusammengedrückt wird. Grundsätzlich sollte auf das Fotografieren von Fischen, die zurückgesetzt werden, verzichtet werden, um das Tier nicht unnötig zu stressen. Wer es in Ausnahmesituationen trotzdem nicht unterlassen kann, ein Fangfoto eines lebenden Fischs zu machen, sollte den Fisch nur ganz kurz hochheben und dabei darauf achten, dass er waagrecht gehalten wird. Ebenfalls sollte man den Fisch knapp über der Wasseroberfläche lassen und ihn nicht über den (Boots-)Boden halten, um mögliche Verletzungen durch Stürze auszuschliessen. Je länger ein Fisch ausserhalb des Wassers ist, desto grösser wird die Gefahr einer Schleimhautverletzung. Dies kann bakterielle Infektionen oder Verpilzungen zur Folge haben. Zudem sind Fische nach einem länger dauernden Drill besonders gestresst und haben einen entsprechend hohen Sauerstoffbedarf. Verbleibt ein Fisch dann längere Zeit ausserhalb des Wassers, baut er ein Sauerstoffdefizit auf. Wird dieses zu gross, kann er sich nicht mehr erholen und verendet. Speziell bei Lachsartigen wie Forellen, Felchen oder Äschen spielt die Temperatur des Wassers eine grosse Rolle. Da die Sauerstoffkonzentration von warmem Wasser tiefer ist als die von kaltem, steigt bei gewissen Arten die Sterblichkeit von 0% bei 8 °C Wassertemperatur auf über 80% (!) bei 20 °C. In warmen Fliessgewässern sollte man daher ganz auf ein Befischen der Lachsartigen verzichten.
Langfristige Folgen
Andere negative Folgen können bei allen Fischarten nicht ausgeschlossen werden. So zeigen zahlreiche Studien, dass einmal gefangene Fische danach oft vorsichtiger sind und dadurch teilweise weniger fressen und langsamer wachsen. Auch Verpilzungen, die vom ungenügend sorgfältigen Umgang mit dem Fisch stammen, können das Immunsystem und das Wachstum beeinflussen. Ein weiterer Faktor, der selten berücksichtigt wird, ist das Fressverhalten von barschartigen Fischen wie Egli oder Zander. Da diese beim Jagen durch Aufreissen von Maul und Kiemen einen Unterdruck erzeugen und so ihre Beute ansaugen, kann schon das kleine Loch eines Hakens grosse Auswirkungen haben.
So wurde bei einer im Salzwasser lebenden Barschart festgestellt, dass sich die Ansauggeschwindigkeit bei gleichem Jagdverhalten signifikant reduzierte, wenn die Fische ein Hakenloch aufwiesen. All diese Faktoren können dazu führen, dass ein Fisch nicht aufgrund direkter Folgen des Zurücksetzens stirbt, sich aber dennoch anders verhält und nicht so gesund ist, wie ein Fisch, der noch nicht an einem Haken war.
Fazit
Die Angelfischerei hat natürlich einen Einfluss auf die Fische. Wir Fischer können und müssen dazu beitragen, dass Fische, die wir zurücksetzen, möglichst grosse Überlebenschancen haben. Diese werden erhöht, wenn wir uns an einige Regeln zum schonenden Umgang mit Fischen (siehe Kasten Checkliste) halten. Natürlich gibt es viele unterschiedliche Faktoren, die die Fischbestände in unseren Gewässern beeinflussen – trotzdem sollten wir als Angler unser Bestes tun, die Fische als wertvolle Ressourcen nachhaltig zu nutzen und ihren Fortbestand langfristig zu sichern.
Checkliste
Die wichtigsten Regeln zum schonenden Umgang mit Fischen
- Zurückzusetzende Fische so wenig wie möglich anfassen und nur wenn unbedingt nötig aus dem Wasser hochheben.
- Spinnköder und widerhakenlose Haken sind Naturködern und Widerhaken vorzuziehen.
- Immer angepasstes Gerät verwenden, um die Drilldauer zu minimieren und Abrisse zu vermeiden.
- Angelplätze, an denen viele untermassige Fische stehen, wenn immer möglich meiden.
- Das Fischen auf kälteliebende Arten einschränken oder zeitweise ganz stoppen, wenn die Luft- und Wassertemperaturen sehr hoch sind.
- Bonustipp: Der SaNa ist nicht nur eine Pflichtübung zum Patentkauf, sondern auch eine gute Grundausbildung für die Fischerei und bietet Möglichkeit, Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen.
Circle hooks – Rundhaken
Üblicher Angelhaken (links) und Kreishaken (rechts). Die Spitze des Kreishakens ist stark zum Schenkel gebogen.
Circle hooks, auch Kreis- oder Rundhaken genannt, sind bei der Fischerei im Meeresbereich schon länger üblich. Sie werden nicht nur weniger geschluckt, sondern halten zudem durch ihre Form Fische zuverlässig am Haken, so dass kein Widerhaken nötig ist. Allerdings muss der Anhieb angepasst werden. Man bringt die Schnur lediglich durch schnelles Kurbeln und ein Anheben der Rute auf Spannung – so kann der Haken im Mundwinkel fassen. Eine Studie zum Fang von Schwertfischen mit normalen Haken gegenüber Kreishaken zeigte, dass mit einem normalen Haken fast die Hälfte (46%) aller Fische tief gehakt waren. Bei Kreishaken waren es lediglich 2% aller Fische. Im Süsswasser ist der Kreishaken teils umstritten, amerikanische Studien zeigen aber bei Forellen und Saiblingen, dass auch dort viel weniger Fische tief gehakt werden.
Fliegenfischen
Beim Fliegenfischen kommt es auch bei untermassigen Fischen sehr selten vor, dass der Haken tief geschluckt wird. Meist hängt der Haken bei Forellen, wie im Bild, weit vorne oder im Maulwinkel. Dies vereinfacht das Hakenlösen und Zurücksetzen von untermassigen Fischen enorm.
Fliegenfischer stehen oft watend im Gewässer und benutzen Kunstköder mit meist kleinen, häufig widerhakenlosen Haken. Durch den sofortigen Anschlag und der Möglichkeit, beim Abhaken nur die Fliege, aber nicht den Fisch zu greifen, kann das Zurücksetzen sehr schonend erfolgen. Im Ausland haben sich viele «Fly only – no kill»-Strecken etabliert, um die Bestände von Forellen und Äschen zu schonen. Das gleiche Prinzip funktioniert auch für untermassige Fische in unseren Gewässern.
Referenzen Artikel «Vom Haken zurück ins Wasser – Todesurteil oder neue Chance?»
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Marcel
Achtung, der oben abgebildeter ist kein richtiger Circle Haken. Der abgebildete Haken hat eine abgewinkelte Hakenspitze wie der J- Haken somit ist das resultat nicht viel besser. Deshalb verwendet nur Inline Circle Haken.