14 | 11 | 2018 | Diverses | 0 | 4915 |
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Wie der Fuchs im Hühnerstall
Ich habe erst mit ein paar engen Fischerkumpels darüber gesprochen. Und mit Fischers Frau natürlich. «Erzähl das ja niemandem», hat sie mir geraten, mit eindringlichem Blick, «und schon gar nicht darüber schreiben. Das gäbe Ärger. Wäre dann wohl deine letzte Kolumne.» Es geht um ein abgrundtiefes Gefühl, das ein bisher verschwiegener Teil meiner Angelsucht ist: Rausch des Tötens.
Als wir jung waren – ich meine: wirklich jung – und kein Geld hatten, wohnten wir in einem baufälligen Häuschen am Rande des Dorfes. Fischers Frau und ich. Für dreihundert Stutz Miete pro Monat. Nebenan eine Wiese und an deren Rand Ruedis Hühnerstall.
Es war in einer Vollmondnacht, als ich von lautem Gegacker geweckt wurde. Der Fuchs sprang wie wild auf der Wiese umher und jagte den Hühnern nach. Ein panisches Geflatter überall. Ruedi hatte wieder mal ein paar Bier über den Durst getrunken und vergessen, die Falltür zu schliessen. Eins nach dem andern biss der Fuchs zu Tode, rannte wieder zurück in den Stall und scheuchte die restlichen Hühner auf die Wiese. Er war im Tötungsrausch. Ich sah gebannt zu; sah einfach nur zu. Irgendwann wurde es still da draussen. Ein gespenstischer Kontrast zur wilden Panik von vorhin. Ein grässliches Bild: Überall Federn und tote oder fast tote Hühner lagen verstreut auf der Wiese und leuchteten im Licht des Mondes. Mit nur zwei, drei Vögeln in der Schnauze trottete der Fuchs Richtung Wald. Alle andern liess er liegen.
Es ist völlig klar: Ich hätte etwas tun müssen, um Ruedis Hühner zu retten. Hätte mit einer Heugabel oder einem Besen bewaffnet rausstürmen und den Fuchs laut schreiend verjagen müssen. Hab ich aber nicht getan. Ich hab nur am Fenster gestanden, war wie in Trance.
Szenenwechsel: Mein Kumpel Samuel und ich stehen Rücken an Rücken in meinem Aluboot und ziehen einen schönen Egli nach dem andern raus. So gut beissen sie nicht immer. «Ich fühle mich wie der Fuchs im Hühnerstall», sagt Samuel mit leiser Stimme. Schlagartig sehe ich die Bilder aus jener Nacht wieder vor mir. Genau das ist es! Jenes tief archaische Gefühl, das uns antreibt. Rausch des Tötens. «Weisst du», gesteht mir Samuel später, «bei den Felchen bin ich froh, dass man nur zehn pro Tag entnehmen darf. Dann ist wenigstens klar, wann Schluss ist.»
Ich verspürs nicht immer – aber immer wieder. Vor drei Wochen zum Beispiel, als ich mit meinem nicht-fischenden Kumpel Jonas quer durchs Mittelmeer segelte. Kurz vor Sonnenuntergang: Krumme Rute, kreischende Bremse. Im Kielwasser springt eine Goldmakrele hoch in die Luft. Sie hat sich meinen Williamson-Wobbler geschnappt. Ich drille, töte. Schnell wieder Wobbler raus, denn wo eine ist, sind viele. Tatsächlich: Kurz darauf eine zweite. Drillen, Betäuben, Kiemenschnitt. Als ich den Wobbler hastig wieder rauslassen will, schaut mich Jonas fassungslos an: «Zwei reichen doch fürs Nachtessen, wieso willst du noch mehr fangen?» Klar, er hat recht. Aber eben: «Fuchs im Hühnerstall!» gebe ich knapp zur Antwort und lasse den Wobbler ins Wasser. Am Tag darauf lässt mich Jonas nicht mehr schleppen. Er wolle heute nicht schon wieder Fisch essen, sagt er. Doch vermutlich war er etwas traumatisiert von den im Todeskampf zappelnden Fischen und dem spritzenden Blut. Ich muss klein beigeben. Schliesslich ist er der Skipper, und ist es sein Schiff, das ich mit Fischblut verschmiert habe.
«Ihr Fischer seid eben keine normalen Menschen», meint Fischers Frau, als ich ihr nach dem Segeltörn davon erzähle. Wir liegen nebeneinander im Bett. «In euch rumort etwas Urtümliches, etwas Wildes. Das macht euch ein bisschen unheimlich?… Aber irgendwie auch anziehend!» Das hat sie jetzt schön gesagt. Und ich hoffe heimlich, dass heute Nacht das «irgendwie anziehend» überwiegt.
Steff Aellig ist Psychologe und arbeitet als Wissenschaftsjournalist. In seiner Kolumne schreibt er über die Abgründe seiner Angelsucht – und was ihn in seinem Alltag als Ehemann und dreifachen Familienvater alles daran hindert, diese Sucht auszuleben.
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