01 | 10 | 2021 | Schweiz | Diverses | 0 | 8609 |
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Blaualgen | Getrübte Freude am Wasser
Im Sommer und Herbst treten regelmässig Blaualgenblüten auf. Mit dem Tod von Hunden am Wasser oder der Sperrung von Badeseen gerät dieses Phänomen schliesslich alle paar Jahre in die Schlagzeilen. Denn in den Blaualgen sind teilweise starke Toxine enthalten. Was bedeutet das für uns?
Blaualgen sind aus wissenschaftlicher Sicht eigentlich gar keine Algen, sondern Bakterien. Cyanobakterien, wie sie genannt werden, gehören zu den ältesten Lebensformen der Erde und man nimmt an, dass sie die ersten Organismen waren, die Photosynthese betrieben und Sauerstoff in die Atmosphäre abgeben konnten. Wir verdanken ihnen damit die Entwicklung des Lebens, wie wir es heute kennen. Es gibt tausende Arten von ihnen und sie kommen überall auf unserem Planeten vor, sogar in extremen Umgebungen wie Wüsten, heissen Quellen und hochalpinen Seen. Auch die auf Bäumen wachsenden Flechten bestehen aus einer Gemeinschaft von Pilzen und Cyanobakterien. Nur ein Teil der in unseren Seen vorkommenden Blaualgen sind dafür bekannt, toxische Stoffe zu bilden.
Wie gefährlich sind Cyanobakterien?
Nicht alle Blaualgen sind toxisch und die Giftigkeit variiert stark. Generell stellen Blüten von Cyanobakterien bei Aktivitäten am und im Wasser für die menschliche Gesundheit ein Risiko dar, insbesondere für Kleinkinder im Uferbereich. Wesentlich häufiger als ernsthafte Vergiftungen treten milde Symptome auf. Dazu gehören Hautausschläge, gerötete Augen oder Übelkeit. Erst wenn die Toxinkonzentration kritische Werte erreicht, sind Atembeschwerden und Kreislaufstörungen durch Beeinträchtigungen des Nervensystems oder Leberschäden möglich. Gefährlich kann es beispielsweise dann werden, wenn die an der Oberfläche aufschwimmenden Algenblüten durch den Wind stellenweise zusammengetrieben und in hohen Konzentrationen mit Wasser verschluckt werden. Tiere, vor allem Hunde, werden dabei viel wahrscheinlicher vergiftet als Menschen, da sie am Ufer grössere Mengen Oberflächenwasser trinken oder nach dem Baden ihr algenbedecktes Fell ablecken. Die Kombination aus der höheren Algenaufnahme und ihrem relativ geringen Körpergewicht erhöht die Wahrscheinlichkeit einer gefährlichen Vergiftung stark. Es ist kein Zufall, dass kranke Hunde regelmässig das erste Anzeichen einer toxischen Algenblüte sind. Auch wenn schwere Vergiftungen durch Cyanotoxine bei Menschen nur sehr selten auftreten, ist die Schliessung von Gewässern beim Nachweis von giftigen Cyanobakterien an der Oberfläche eine sinnvolle Massnahme.
Blaualgentoxine und Fische
Eine Kopplung des Badeverbots mit einem Fischereiverbot ist jedoch nicht notwendig, da Blaualgentoxine bisher in gefangenen Fischen nicht nachgewiesen wurden. Vermutlich weichen die Wasserbewohner inklusive des Zooplanktons den Cyanobakterien aus und fressen diese nicht. Zum Glück, denn die potenziell giftigen Blaualgen kommen nicht nur während der sichtbaren Algenblüten an der Oberfläche vor. Sie kommen über das ganze Jahr in unterschiedlichen Tiefen und Konzentrationen der betreffenden Seen vor. Wenn Blaualgen massenhaft auftreten, sind direkte toxische Effekte auf Fische verschiedener Arten und Altersstadien möglich. Untersuchungen an Blaualgentoxinen (Microcystinen) und Fischen legen das nahe. Auch beim grossen Fischsterben am Sempachersee in der Nacht vom 7. auf den 8. August 1984 standen Blaualgen im Verdacht, zur Vergiftung der Fische geführt zu haben. Denn wenn massenhaft Cyanobakterien schlagartig absterben und deren Zellen sich auflösen, werden die enthaltenen Toxine im Wasser freigesetzt und können von Fischen über die Atmung aufgenommen werden.
Ungeniessbarkeit
Vielmehr als die akute Toxizität der Blaualgen wirkt sich deren Ungeniessbarkeit auf die Seen-Ökosysteme aus. Cyanobakterien sind für das algenfressende Zooplankton in der Regel nicht verwertbar. Die Blaualgen tragen deshalb nicht zur Produktivität der Nahrungskette und damit auch der Fischbestände bei. Wenn eine Blaualgenblüte abstirbt, sinken grosse Mengen Algenbiomasse an den Gewässergrund, wo sie durch Bakterien zersetzt werden. Das führt zu Sauerstoffdefiziten in tieferen Wasserschichten. Das hat zweierlei negative Konsequenzen: Es werden vermehrt Nährstoffe aus den Sedimenten freigesetzt (was die nächsten Cyanobakterienblüten wiederum begünstigt) und Fische können im Tiefenwasser nicht mehr überleben oder sich fortpflanzen. Dazu kommen weitere indirekte Auswirkungen wie Veränderungen des pH-Werts, das Blockieren von Licht und die Konkurrenz um die im Wasser gelösten Nährstoffe gegenüber anderen (geniessbaren) Algen. Ausgeprägte Blaualgenvorkommen belasten Seen stark, verlangsamen die Erholung des Sauerstoffgehalts im Tiefenwasser und verringern die nutzbare Biomasse. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die im Zürichsee und Neuenburgersee auftretenden Burgunderblutalgen der Art Planktothrix rubescens, deren Vorkommen in jüngster Zeit stark zugenommen hat. Neben klimatischen Veränderungen hat vermutlich auch das veränderte N:P-Verhältnis dazu geführt (siehe «Rasante Veränderungen in den Schweizer Seen», «Petri-Heil» 7-8/2021, Seite 44).
Einen entscheidenden Einfluss hat auch die Durchmischung des Seewassers im Verlauf des Jahres. Das Vorkommen von Burgunderblutalgen verringert sich, wenn das Wasser vollständig zirkuliert und die Cyanobakterien in die tiefsten Zonen verlagert werden. Denn sie vertragen grosse Druckdifferenzen schlecht. Die vollständige Seezirkulation vieler Seen bleibt durch klimatische Veränderungen immer öfter aus, was den Blaualgen entgegenkommt.
Trend zu giftigen Algenblüten
Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass die globale Erwärmung, Eutrophierung und steigende Kohlendioxidwerte die Vorkommen von Cyanobakterien wahrscheinlich in vielen aquatischen Ökosystemen weltweit erhöhen. Doch die Entwicklung der Blaualgen ist nach wie vor ein Forschungsthema mit vielen offenen Fragen. Die wichtigsten Faktoren sind wahrscheinlich von See zu See unterschiedlich und deren Zusammenspiel ist mitentscheidend. Eine EAWAG-Studie in der Schweiz ergab, dass Blaualgen in den letzten 100 Jahren in den Seen rund um die Alpen immer häufiger vorkommen. Die Studie zeigt auch, dass die Zusammensetzung der Cyanobakterien-Gemeinschaft in allen Seen immer ähnlicher geworden ist. Die Hauptnutzniesser der globalen Erwärmung und des Nährstoffüberschusses im 20. Jahrhundert sind jene, die am besten an diese Bedingungen angepasst sind. Unter diesen Arten sind leider einige dabei, die potenziell toxisch sind. Infolgedessen besteht heute in fast allen Seen, und nicht nur in einigen wenigen, das Risiko von giftigen Cyanobakterien. Eine Studie aus dem Jahr 2017 prognostiziert, dass in den USA die durchschnittliche Anzahl der Tage mit potenziell gefährlichen Algenblüten pro Gewässer von etwa einer Woche pro Jahr auf 18 bis 39 Tage im Jahr 2090 ansteigen wird. Das sind beunruhigende Perspektiven auch für Schweizer Gewässer und es lohnt sich, die Algenzusammensetzung unserer Seen weiterhin zu beobachten und sich für Anpassungen der Gewässerschutzverordnung (Stickstoffeinträge reduzieren) einzusetzen.
Informationen der EAWAG zu Blaualgen:
Häufige Fragen zu Cyanobakterien / Blaualgen
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