Diese Dosis ist längst Gift
22 | 10 | 2012 SchweizText: Daniel Luther 04904
22 | 10 | 2012 Schweiz
Text: Daniel Luther 0 4904

Diese Dosis ist längst Gift

Der Kormoran ist längst nicht mehr gefährdet. Im Gegensatz zu immer mehr Fischarten, die durch unkontrollierte Entnahmen in Bedrängnis geraten. Dr. Franz Kohl warnt: Ohne konsequente Eingriffe in den grossen Brutgebieten ist vor allem die Äschenregion existenziell gefährdet.

Die erste europäische Kormorankrise interessierte lange niemanden. Franz Kohl beschreibt sie so:

«Der kombinierte Effekt von raschem Lebensraumverlust und intensiver Verfolgung führte dazu, dass die Kormorane in Westeuropa tatsächlich fast völlig verschwanden. Um 1900 galt der Kormoran im westlichen Deutschland und in Dänemark als ausgestorben. Auch in Holland, Ostdeutschland und Polen gab es nur mehr eine Handvoll Brutkolonien.»

Der Einsatz von Pestiziden wie DDT setzte den Fischjägern wie vielen anderen Vogelarten stark zu. Um 1965 lebten an den Binnengewässern Mitteleuropas weniger als 20 000 Kormorane. Mit dem DDT-Verbot und scharfen Schutzmassnahmen begann ab 1970 eine spektakuläre Erholung, die den Kormoran zur symbolträchtigen Galionsfigur des modernen Vogelschutzes machte.

Bereits in den 1980er-Jahren waren einige Kolonien so stark gewachsen, dass die Vögel im Winter neue Jagdgründe anfliegen mussten. So zum Beispiel 1984/85 als der Linthkanal buchstäblich leer gefressen wurde (siehe Seite 8).


Zahlen zum Fürchten

Aktuell wird der westeuropäische Bestand auf 200 000 Brutpaare geschätzt. Die grössten Kolonien liegen nicht mehr in Holland und Dänemark, sondern an der Ostseeküste in Schweden, Finnland, Polen und Deutschland. Zur Zeit sind in Mitteleuropa mindestens 1,5 Millionen Kormorane auf der Jagd, die defensiv gerechnet 250 000 Tonnen Fisch pro Jahr fressen.

Angesichts dieser ungeheuren Zahl sind die paar Tausend Wintergäste, die unsere Gewässer besuchen, eigentlich überraschend bescheiden. Dass ihre Zahl nicht parallel zur Bestandesentwicklung zunimmt, ist allerdings kein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass unsere Fischbestände immer weniger attraktiv werden.

Franz Kohl schreibt dazu: «Bereits vor 40 Jahren, als Kormorane eine Rarität waren, gab es Süsswasserfische nicht mehr im Überfluss. Seither sind unsere Wildfisch-Bestände aus verschiedenen Gründen weiter zurück gegangen. Kormorane sind nicht in allen Gewässern die unmittelbare Ursache dieses Rückgangs, aber sie üben einen zusätzlichen Befischungsdruck aus, der in vielen Fällen die Belastungsgrenze übersteigt.»

Angesichts der nicht mehr bestreitbaren Zahlen ist die Diskussion über die Bestandesgefährdung völlig verstummt. Es leuchtet auch Hardcore-Ornithologen ein, dass selbst regelmässige Vergrämungsabschüsse keinerlei Einfluss mehr auf den Bestand haben. Umgekehrt bedeutet das auch, dass diese aufwändige und in der Gesellschaft umstrittene Symptombekämpfung (Tiere ohne Verwertung töten) kein nachhaltiger Weg sein kann.

Irreparable Schäden drohen

Leider wird man in absehbarer Zukunft nicht auf die Verteidigung besonders bedrohter Gewässer verzichten können. Besonders für die Äschenregion sind massive Kormoraneinflüge ein Risiko. Klares Wasser, geringe Tiefen und fehlende Fluchtwege machen es den Räubern allzu leicht. Innert weniger Tage können die Verluste den Fischbestand auf Jahre hinaus schädigen.

Neben der Äsche betrifft das weitere bedrohte Fischarten wie Nase, Strömer und Barbe. Auch die Laichplätze von Meerforelle und Lachs liegen zumeist in diesem Gewässertyp, der nicht nur in der Schweiz besonders stark unter ökologischen Beeinträchtigungen leidet.


Abwehrmassnahmen

Kohl beschreibt im Kapitel «Schadensbegrenzung» umfassend die Planung und Ausführung wirkungsvoller Vergrämungsmassnahmen.

Seine wichtigsten Punkte:

  • Je näher ein Schlafplatz und je ungestörter eine Gewässerstrecke, desto grösser das Risiko. Flugdistanzen von über 60 Kilometer vermeidet der Kormoran.
  • Die Verhinderung von Schlafplätzen im Umkreis von 25 Kilometern kann «Hochrisikostrecken» spürbar entlasten.
  • Minus-Alarm: Kälte und Eisbildung lassen die Kormorane an Fliessgewässer ausweichen.
  • Die Erfahrung zeigt, dass Kormorane nicht-letale Vergrämungsmethoden rasch durchschauen. An freien Gewässern gibt es keine ernsthafte Alternative zu Vergrämungsabschüssen!
  • Die ersten Einflüge müssen konsequent gestört werden damit sie keinen Jagderfolg bringen.
  • Die Wirksamkeit der Abwehr hängt auch davon ab, ob es in der Umgebung andere Gewässer mit ausreichendem Fischbestand gibt. Hungrige Kormorane lassen sich selbst durch Abschüsse nicht lange vergrämen!
  • Wirksame Vergrämung braucht gute Organisation, eine motivierte und fähige Mannschaft, professionelle Ausrüstung und konsequente Durchführung, Jahr für Jahr, früh am Morgen und bei jedem Wetter.


Das Problem erkennen

Seit Menschengedenken gab es nie so viele Kormorane in Europa. Angesichts des bereits stark beeinträchtigten Lebensraums droht dieser unkontrollierte Nutzungsdruck viele Artenschutzprojekte (z. B. Lachs, Aal, Roi du Doubs) und Anstrengungen zur Verbesserung der Gewässerlebensräume zunichte zu machen. Man braucht dicke Scheuklappen oder viel Zynismus, um den Handlungsbedarf abzustreiten.

Franz Kohl schreibt: «Objektiv haben Fischerei und Vogelschutz ja zu 95 Prozent die gleichen übergeordneten Interessen. Ökologisch intakte, artenreiche Lebensräume in und an Gewässern sind unser gemeinsames Ziel.»

Als erfahrener EU-Diplomat verzichtet er deshalb in seiner Dokumentation auf Maximalforderungen. Er fordert von der EU-Kommission in Brüssel ein von höchster Ebene getragenes Leitbild, in dem die Bestandesregulation beim Kormoran als notwendig und legitim anerkannt wird. Die Massnahmen sollen explizit auch Eingriffe in Brutkolonien und Schutzgebieten umfassen. So eine klare Botschaft würde die Möglichkeiten für rechtliche Blockaden auf regionaler Ebene stark verringern.

Für Kohl ist es zentral, dass die wichtigsten Kormoran-Länder im Ostseeraum «umweltverträgliche» Bestandesgrössen festlegen. Neben ökologischen Abwägungen wird man dafür eine weitere wichtige Frage beantworten müssen:


«Wieviel für den Kormoran, wieviel für den Fischer?»

Franz Kohl scheut diese Diskussion nicht: «Das ist eine Kernfrage, die nur selten explizit diskutiert wird. Einen naturgegebenen Prozentsatz gibt es nicht. Es geht um einen Konsens zwischen Menschen. Ein Vogelschützer wird die Sache aus einer anderen Perspektive betrachten als ein Fischerei-vereinspräsident. Wenn man pragmatisch und offen an die Frage herangeht, sollte es möglich sein einen Konsens zu finden.»

Es gibt für den Autoren nur ein vernünftiges Kriterium: Die kombinierte Entnahme von Fischerei und Prädation darf die natürliche Ertragskraft des Gewässers nicht übersteigen.

Als verbindliches Hegeziel schlägt Kohl die Definition der europäischen Wasserrahmenrichtlinie für «guten ökologischen Zustand» vor. Dieses Gütesiegel verlangt einen Fischbestand mit gewässertypischer Artenzusammensetzung und Bestandesgrössen, die dem verfügbaren Nahrungsangebot entsprechen.

Dieses politisch und gesellschaftlich weitgehend akzeptierte Ziel ist in den nächsten Jahren akut gefährdet durch die masslose Bestandesentwicklung des Kormorans. Vor allem die weiterhin wachsenden Kolonien rund um die Ostsee müssen konsequent reguliert werden, um die Zahl der Fisch fressenden Vögel an übergeordnete Gewässerschutzziele anzupassen. Klarer als Franz Kohl hat das noch niemand gezeigt


Wichtige Kormoran-Dokumentation

Auf 166 Seiten findet man als engagierter Fischer alles, was man zum Thema Kormoran wissen muss, um in Diskussionen zu bestehen. Autor Dr. Franz Kohl liefert ein umfassendes Portrait, aufwändig recherchierte Fakten und eindrückliche Grafiken über Verbreitung und Bestandesentwicklung, wichtige Studien über die Auswirkungen des Kormorans auf den Fischbestand, eine Übersicht der Gegenmassnahmen sowie kluge Gedanken über die Möglichkeiten dieses ökologische Problem nachhaltig zu lösen.

Das Buch ist erhältlich für Euro 14.50 (zzgl. Versandkosten) beim Österreichischen Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz, Breitenfurterstrasse 335, A-1230 Wien, 0043 1869 5300, Fax 0043 1869 5339 oder via office(at)oekf.at

 

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