Eine Art – viele Formen
12 | 10 | 2020 DiversesText: Nicola Sperlich 08327
12 | 10 | 2020 Diverses
Text: Nicola Sperlich 0 8327

Eine Art – viele Formen

Die Forelle ist eine vielgestaltige Fischart. Je nach Standort weist sie eine andere Musterung auf und sie kann sich für verschiedene Lebensräume und Lebensarten entscheiden. Nicola Sperlich zeigt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer See-, Fluss- und Bachforellen.


Ist dies eine Bach- oder eine Seeforelle?» –  «Ich glaube, es ist eine Flussforelle!» Solche und ähnliche Sätze sind häufig zu hören und nicht selten arten sie in lebhafte Diskussionen aus, egal ob am Wasser oder online in den Foren und sozialen Medien. Offensichtlich stellen die Forellen nach wie vor ein kompliziertes Thema dar und in die regen Diskussionen mischen sich schnell viele Unklarheiten und Falschwissen. 

Da ich mich in meiner beruflichen Laufbahn auf (teil-) wandernde Fische und insbesondere auf Salmoniden spezialisierte, juckte es mich jedes Mal, auch meinen Senf dazu zu geben. Bis ich eines Tages einen Eintrag in einem sozialen Medium verfasst habe, der ungeahnt grosse Wellen schlug. Mein Text wurde vielfach geteilt, ich erhielt eine Menge Feedback und Anfragen. Und hier bin ich nun und schreibe diesen Artikel in der Hoffnung, der Schweizer Fischerwelt die Komplexität der Forellenökologie etwas näher bringen zu können.

 
Verschiedene Arten und Formen

Salmo trutta, auf Deutsch: Die Atlantische Forelle. Diese Forellenart ist in der Schweiz mit Abstand die häufigste und entspricht dem, was sich die meisten Fischer gemeinhin unter einer Forelle vorstellen. Ursprünglich kam sie im Einzugsgebiet des Rheins vor, sprich in Zentral- und Nordwest-Europa. Doch infolge von unüberlegtem Besatz findet man sie mittlerweile fast überall. Daneben gibt es in der Schweiz noch vier weitere einheimische Forellen-Arten: Die Donauforelle (S. labrax) im Einzugsgebiet des Inns, die Trotta Fario (S. cenerinus) und die Marmorata-Forelle (S. marmorata) südlich der Alpen sowie die Zebra-Forelle (S. rhodanensis), welche in der Schweiz nur noch im Einzugsgebiet des Doubs vorkommt. Doch darauf gehe ich hier nicht näher ein. 

Dieser Artikel dreht sich nämlich nicht um die Diversität an verschiedenen Forellenarten, sondern um die ökologische Vielfalt innerhalb einer Art. Ihr habt sicher alle schon einen oder mehrere der folgenden Begriffe benutzt: «Bachforelle», «Seeforelle», «Flussforelle» oder «Meerforelle»? Der Clou ist, dies sind bloss umgangssprachliche Begriffe für verschiedene Erscheinungs­formen, die aber allesamt zur selben Art gehören: Der erwähnten Atlantischen Forelle. Diese Forellenart kann also unterschiedliche Lebensweisen einschlagen, und das ist genau der Punkt, wo häufig Verwirrungen entstehen. 

 
Welche Lebensweise?

Die eine Lebensweise zeigt sich in den verschiedenen Wanderformen: Nach 1-2 Jahren im Geburtsbach entscheiden sich einzelne Individuen dafür, in ein profitableres Habitat abzuwandern. Dort können sie dank hochwertigerer Nahrung schneller wachsen und später als grösseres und somit erfolgreicheres Laichtier ins Geburtsgewässer zurückkehren. Ob dieses temporäre Wanderhabitat nun ein See ist, ein grösserer Fluss oder das Meer, ist rein optisch am Fisch schwierig zu unterscheiden. Hier spricht man eben von «Seeforellen», «Fluss­forellen» oder «Meerforellen». Sie alle haben gemeinsam, dass die Jungfische im Bach die roten Punkte verlieren und eine silbrig glänzende Schicht in der Haut einlagern, kurz bevor sie abwandern (in diesem Stadium nennt man sie «Smolts»). Sie werden erst im Wander­habitat adult und kehren in der Regel nach 1-3 Sommern zurück (es gibt aber auch Ausnahmen, wo es noch länger geht). Manche Individuen machen diese Wanderung mehrmals im Leben, andere schaffen es nur einmal. 

Die alternative Lebensweise ist, dass sich Individuen für ein residentes Leben im Geburtsbach entscheiden, das heisst, sie verbringen das ganze Leben im selben Habitat. Diese Forellen nennen wir «Bachforellen». Bekannterweise sehen sie anders aus als ihre wandernden Kollegen. Sie behalten die roten Tupfer und haben eine goldene bis graue Flanke, je nach Wasserfarbe und Untergrund des Gewässers. Auch die Form der Schwanzflosse unterscheidet sich zu den Wanderformen. Optisch gibt es also Unterschiede, wenn sich eine Forelle erst mal für einen Lebensstil entschieden hat. Doch letztendlich sind alle die gleiche Art, und das ist wirklich entscheidend fürs Verständnis! Eine Seeforelle, eine Bachforelle und eine Flussforelle könnten theoretisch alle Geschwister sein. Das Rätsel, was denn nun genau dazu führt, dass sich ein Individuum für die eine oder andere Lebensweise entscheidet, ist bis heute noch immer nicht ganz gelöst. Die Gene und das Geschlecht spielen sicher eine wichtige Rolle, aber auch die Bestandesdichte im Geburtsgewässer und diverse Umweltfaktoren haben vermutlich einen Einfluss darauf. Übrigens gibt es das gleiche System von teilwandernden Populationen auch bei vielen anderen Salmoniden weltweit, zum Beispiel bei der ebenfalls heimischen Marmorata-Forelle, dem Arktischen Saibling oder der Regenbogenforelle.

 Könnten Geschwister sein: Die Forelle passt ihre Erscheinung dem Habitat an.

Könnten Geschwister sein: Die Forelle passt ihre Erscheinung dem Habitat an.

 Könnten Geschwister sein: Die Forelle passt ihre Erscheinung dem Habitat an.

Könnten Geschwister sein: Die Forelle passt ihre Erscheinung dem Habitat an.

 Was willst du werden? Im typischen Bachforellenkleid ist diese Salmo trutta im Zürichsee unterwegs.

Was willst du werden? Im typischen Bachforellenkleid ist diese Salmo trutta im Zürichsee unterwegs.


Seeforelle ist nicht gleich Seeforelle

Wenn man nun Populationen beschreiben möchte und dabei beispielsweise alle Seeforellen in einem See zusammen als Einheit betrachtet, ist das aus wissenschaftlicher Sicht völlig falsch. Korrekterweise muss man in diesem Fall die Forellenbestände von jedem einzelnen Zufluss des Sees als jeweils eigene Populationen betrachten. Im Wanderhabitat leben folglich Forellen aus mehreren getrennten Populationen vorübergehend Seite an Seite, aber sie kehren letztlich sehr präzise in ihre jeweiligen Geburtsgewässer zurück. So bleibt die genetische Variation zwischen den Populationen erhalten. Hierzu tragen auch die lokalen Bachforellen einen grossen Teil bei, denn auch die mischen mit bei der Paarung. Nicht selten verpaart sich eine Seeforelle mit einer Bachforelle. Häufig agieren die kleineren, männlichen Bach­forellen auch als sogenannte «Sneaker»: Sie halten sich erst zurück und schiessen dann in letzter Sekunde bei der Eiablage dazu, um ihr Sperma auch noch dazu zu geben, während das grosse Seeforellenmännchen abgelenkt ist. Nicht selten wird rund die Hälfte eines Geleges durch «Sneaker» befruchtet.

 
Wanderformen sind selten geworden

Die Kernaussage ist: Forellen bilden ein komplexes und empfindliches System aus verschiedenen Lebensweisen, die aber letztlich immer wieder zusammenkommen und in ihrer Gesamtheit eine einzigartige Population bilden. Sich dessen bewusst zu werden ist fundamental, insbesondere beim Gedanken an die Bewirtschaftung! Doch was ich beschrieben habe, funktioniert nur unter natürlichen Bedingungen so bilderbuchmässig. Die Realität in der Schweiz sieht leider meistens anders aus. Wander­formen der Forelle kommen nur noch selten vor. Ein Hauptgrund hierfür dürfte wohl sein, dass der grösste Teil unserer Gewässer mit Wanderhindernissen verbaut ist. Fischwanderungen sind in vielen Gewässern gar nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt möglich. Meerforellen schaffen es schon seit über 100 Jahren nicht mehr bis in die Schweiz, aus dem selben Grund, warum es auch der Lachs nicht mehr bis zu uns schafft.

Um meinen Artikel nicht mit solch tristen Gedanken abzuschliessen, möchte ich noch auf die guten Nachrichten kommen: Ich kann versichern, dass viel getan wird und die Behörden, Forschungsprojekte und viele tatkräftige Fischer/innen täglich hart daran arbeiten, den Forellenbeständen wieder zu einem Aufschwung zu verhelfen. Wir wissen immer mehr über diese faszinierenden Systeme und auch darüber, wie wir ihre Situation verbessern können. 

 

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