27 | 12 | 2021 | Schweiz | Praxis | 0 | 8799 |
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Eisfischen am Engstlensee
Der Engstlensee im Berner Oberland ist seit Jahren ein erstklassiges Gewässer für die Eisfischerei auf Namaycush. «Petri-Heil» war mit dem Fischereiaufseher und Gewässerkenner Toni Brunner an «seinem» Bergsee unterwegs.
Es ist bereits Ende März, als ich dem Engstlensee einen Besuch abstatte. Im Flachland stehen die Zeichen langsam auf Frühling, doch auf 1850 m ü. M. herrscht noch immer tiefer Winter. Die Anreise von Engelberg her quer durchs Skigebiet ist zwar umständlich, aber im Winterhalbjahr oft der einzige Weg. Wer von Meiringen her aufbricht, braucht Tourenskis und muss einige Stunden mehr einrechnen. Die Region ist reich an Niederschlägen, Schneedecken von gegen drei Meter Höhe sind im März nichts Aussergewöhnliches.
Eisfischen ist eine materialintensive Angelegenheit, man kann direkt froh sein, dass die dafür verwendeten Ruten so kurz und handlich sind. Denn für einen Tagesausflug muss man einiges einpacken: Schneeschuhe, Schaufel, Eisbohrer und gute Verpflegung müssen nebst der Fischereiausrüstung auf jeden Fall mit und dazu braucht es Sonnenschutz und beste Winterkleidung, die nicht nur warm gibt und trocken hält, sondern auch noch einen gut anderthalb Kilometer langen Marsch im Schnee ermöglicht, ohne anschliessend komplett durchgeschwitzt zu sein.
Ich bin an diesem Morgen der erste Fischer, der den Sessellift vom Jochpass her nimmt. Es ist neblig und kaum zu erkennen, ob man mit dem nächsten Schritt hinauf oder hinunter tritt, zudem hat es etwas Neuschnee gegeben, so dass die Spuren der vorhergehenden Tage kaum zu erkennen sind. Am Seeende angekommen, erspähe ich zwei kleine Punkte. Toni Brunner und sein Kollege Paul von Känel, der als Strahler im Jahr 2005 einen Jahrhundertfund machte, sind also bereits am Eisfischen?…
Namaycush-Gewässer
Der Engstlensee ist zusammen mit dem Arnen- und Oeschinensee einer der drei Bergseen, wo mit dem bernischen Kantonspatent gefischt werden darf. Die Saison startet an diesen Seen jeweils am 1. Januar. Im Gegensatz zur Eisfischerei auf Melchsee-Frutt ist hier ein begleitetes Eisfischen keine Voraussetzung, jedermann darf nach dem Erwerb eines Patents sein Glück versuchen. Im Engstlensee sind hauptsächlich Namaycush anzutreffen, die auch zu kapitaler Grösse abwachsen. 2014 fing Toni Brunner beim Eisfischen hier einen 103 Zentimeter-Brocken, der letztes Jahr durch einen 104er von Basil Leutert an der Spitze der «Petri-Heil»-Allzeitliste abgelöst wurde. Doch die Durchschnittsgrösse ist natürlich weit darunter. Die meisten Namaycush am Engstlensee werden mit einer Grösse von 27 bis 33 Zentimetern gefangen. Neben den Namaycush hat es noch Saiblinge und einige Regenbogenforellen sowie Trüschen im See, die aber zahlenmässig kaum ins Gewicht fallen und wenn, dann am Südostende des Sees anzutreffen sind. Der Engstlensee ist ein natürlicher See mit einer Tiefe von maximal 49 Metern. Die meisten Fischer konzentrieren sich beim Eisfischen jedoch auf die abfallenden Halden der Uferregion, wo es schnell von drei, vier Metern auf zwölf und mehr Meter Tiefe runtergeht, sowie auf den «Rücken», eine Unterwassererhebung, die am Südwest-Ende quer durch den See verläuft. Die Fische sind hier einiges zuverlässiger anzutreffen als im Freiwasser und zudem erleichtert eine überschaubare Tiefe die Chance erheblich, dass man den Köder auch tatsächlich in Nähe der Fische platziert.
Grosse Köderpalette
Toni und Paul haben bereits ein paar Löcher gebohrt und auch schon den einen und anderen Fisch gefangen. Doch es sei ein zäher Tag, meint Toni Brunner und sollte damit Recht behalten. Zwar haben die beiden die ganze Palette an Ködern im Angebot: Von Würmern über Fischeingeweide zu Bienenmaden, Hörnli, Crevetten, künstlichen Maden und Gummifischen. Doch gefangen wird an diesem Tag nur aus einem einzigen Loch, welches Paul von Känel gebohrt hat und das er natürlich nicht mehr hergibt. Das Schaufeln und Bohren der Löcher ist harte Arbeit; ohne einen zusätzlichen Bohraufsatz kommt man nicht durch die untersten Schichten des Eises durch, zudem muss man zuerst etwa 40 Zentimeter Schnee freischaufeln und hat am Schluss die Hände im Wasser, welches in den unteren Eisschichten eingelagert ist und beim Bohren hochgedrückt wird. Die beiden haben je eine sogenannte tote Rute im Einsatz sowie eine aktiv geführte. Toni fischt nur gewöhnliche Spinnruten beim Eisfischen. Die extrakurzen Eisruten mag er nicht: «Wenn ein 30 Zentimeter langer Fisch die Rute bis ins Handgelenk durchbiegt, gibt einem die Rute bei einem grösseren Fisch einfach keinen Handlungsspielraum mehr.»
Toni und Paul fischen mit der Gambe. Bei mehreren Anbissstellen kann man gut mit den Ködern experimentieren. Der Köder muss dabei kein ästhetisches Wunderwerk sein; eine Bienenmade, Crevette oder ein kleiner Wurm an der Hegenennymphe sieht per se behelfsmässig aus, tut es aber durchaus. Fangen tun alle diese Köder, versichert mir Toni Brunner, aber halt nicht an allen Tagen. Wir fischen unsere aktive Rute konzentriert und systematisch durch alle Wassertiefen. Immer wieder zieht dichter Nebel auf, alles verschwindet in einem undurchdringlichen Weiss, keine Konturen, nur mehr Weiss.
Die grösste Herausforderung ist das Beibehalten der Konzentration. Gut, wenn die Sonne scheint, kann man sichs gemütlich machen und die Bergwelt bestaunen, da kann die Fischerei auch mal vorübergehend zur Nebensache werden. Doch bei schlechtem Wetter will man Fische fangen! Nun, mit nassen Handschuhen wird das schnell mal schwierig. Zudem muss man seine Sachen beisammenhalten, darauf achten, dass nichts im Schnee verloren geht. Und ist man mal an einem Loch gut eingerichtet, hat man deswegen noch lange nicht die Gewissheit, dass die Fische vor Ort sind. Soll man jetzt weiterziehen oder ausharren?
Ungleich verteilte Fische
Am Nachmittag machen zwei andere Fischer ein paar Löcher keine 50 Meter von uns entfernt. Plötzlich geht es dort Schlag auf Schlag, respektive Biss auf Biss. Ein einziges Loch bringt in kürzester Zeit die Vollpackung. Zufriedene Fischer sind gerne generös und so bietet mir der glückliche Fänger an, sein Bohrloch zu übernehmen. Halb durchgefroren und halb wahnsinnig von den paar wenigen verpassten Bissen, trau ich meiner Gambe und meinem Können nicht mehr so recht, aber gut, ich probiere gerne eine andere Stelle.
Wie ich meine Köder runterlasse, folgt sogleich ein Biss. Doch verpasst. Neu montieren, es folgt ein zweiter Biss, doch auch dieser ist zaghaft und der Fisch bleibt nicht hängen. Danach nichts mehr, der Schwarm ist offenbar weitergezogen. Ja, es will einfach nicht! Toni fängt an diesem Tag genau einen Fisch, Paul seine sechs, alle aus dem gleichen Loch, und ich muss mich mit ein paar verpassten Chancen begnügen.
Dann ist Feierabend. Wir lassen die Ruten über Nacht auf dem See stehen, denn es wird niemand kommen. Zum Znacht gibts Würste und Rösti und Kafischnaps, um halb 10 sinken wir in einen wohlverdienten Schlaf.
Am nächsten Morgen hat es aufgeklart, es ist Postkartenwetter und mit der Sonne ist es auch richtig angenehm. Derweil wir den einen oder anderen Biss verzeichnen, hat Toni Brunner eine Eingebung und gräbt ein paar Meter weiter ein neues Loch. Kaum runter gelassen, ist Tonis Rute krumm. Dem ersten Fisch folgt sogleich ein zweiter und Toni winkt mich zu sich: «Los, fischen wir dieses Loch zu zweit!» Während Toni neue Köder montiert, lasse ich meine Dropshotmontage herunter, was sogleich mit einem Biss quittiert wird. Wie ich meinen Fisch betäube, den Kiemenschnitt mache und neu anködere, holt Toni den nächsten. Unglaublich! Nach acht Namaycush zwischen 30 und 38 Zentimeter ist der Spuk vorbei. Gebissen haben alle Fische auf kleine Crevetten. Dass mit diesem Köder auch richtig grosse Namaycush gefangen werden, weiss keiner besser als Toni. Sein 103er nahm damals ebenfalls eine Crevette an der Gambe …
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