07 | 04 | 2017 | Schweiz | Video | 0 | 7178 |
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Fische auf dem Abstieg
Der Anblick schwer verletzter und zerstückelter Fische geht nicht nur uns Fischern ans Herz. Die Nutzung von Wasserkraft kann man nicht als «sauber» bezeichnen, solange Fliessgewässer dadurch schwer beeinträchtigt werden und Fische elendiglich verenden müssen. Lässt sich das verhindern?
Fische sind aufgrund ihrer Biologie darauf angewiesen, wandern zu können. Ein wichtiger Grund dafür sind die bekannten Entwicklungszyklen vom Ei bis zum adulten Laichtier. Und mit den damit verknüpften Laichwanderungen und dem Nutzen verschiedener Habitate im Leben der Fische. Auch äussere Faktoren führen zu Wanderbewegungen: Fische in Fliessgewässern leben in einem sehr dynamischen System, in dem sie rasch auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren müssen. So zum Beispiel wandern Fische bei hohen Temperaturen in kühlere Seitenbäche oder kehren nach einem Hochwasserereignis in Flussabschnitte zurück, von wo sie weggeschwemmt wurden. Die Mobilität der Fische in Fliessgewässern inklusive deren Seitengewässer ist also eine wichtige Voraussetzung für die nachhaltige Existenz gesunder Fischbestände. In unterschiedlichen Ausprägungen führen alle einheimischen Fischarten solche Wanderungen durch – sofern es ihnen noch möglich ist.
In der Schweiz existieren neben schätzungsweise 100?000 nicht kraftwerksbedingten Hindernissen (1) über 1300 Wasserkraftwerke (2), die eine freie Fischwanderung verhindern. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, wurde schon früh damit begonnen, Fischtreppen und Umgehungsgerinne zu bauen, um den Tieren die Aufwärtswanderung wieder zu ermöglichen. Der Fischabstieg hingegen wurde lange vernachlässigt. Verglichen mit dem Fischaufstieg gibt es bisher nur wenige Kenntnisse und Erfahrungen zum Fischabstieg an Schweizer Kraftwerken.
Die Krux besteht darin, dass Fische beim Abwandern der Hauptströmung folgen und dadurch zwangsläufig in die Turbinen gelangen. Die möglichen Folgen für die Fische sind fatal: Mechanische Verletzungen durch den direkten Kontakt mit den Schaufelblättern der Turbinen, innere Verletzungen durch die Druckdifferenzen vor und nach der Turbine (Barotrauma) und erhöhte Mortalität im Unterwasser der Kraftwerke durch Fressfeinde aufgrund von Desorientierung. Wie man am Beispiel des Aals feststellen kann, sind grosse (lange) Fische besonders gefährdet, direkte und offensichtliche mechanische Verletzungen zu erleiden. Grundsätzlich steigt die Mortalität mit zunehmender Länge der Tiere und ist abhängig von der Fischart, der Grösse und Art der Turbine (Anzahl und Ausrichtung der Schaufelblätter) sowie ihrer Drehzahl. Aber auch kleinere Fische werden verletzt! Diese Schäden und Verluste sind jedoch meist verborgen und schwer nachweisbar. Auch den kumulativen Effekt mehrerer aufeinander folgender Kraftwerke darf man nicht vergessen: Wenn ein Rheinfisch von Schaffhausen nach Basel wandert, passiert dieser Fisch elf Kraftwerke. Geht man beispielsweise vom Wunschziel aus, dass an jedem Kraftwerk ein Todesfallrisiko von «nur» noch 5 Prozent zu erwarten ist (95 Prozent der Fische überleben das Passieren eines Kraftwerks), kommen von 100 Fischen in Schaffhausen trotz der hohen Überlebensrate rechnerisch nur noch deren 57 in Basel an. Ganz zu schweigen von den Tieren, die bis in die Nordsee wandern – zumal die Mortalitätsraten an den aktuell eingesetzten Francis- und Kaplanturbinen je nach Anlagenlayout bis zu 70 Prozent (!) erreichen (5). Da müssen Fische viel mehr Glück haben, als wir ihnen zumuten können! Wer rechnen mag, kann sich vor Augen führen, wie viel Glück ein Fisch heute haben muss, um unbeschadet von Schaffhausen nach Basel zu gelangen. Was kann man also tun, um diesen Zustand zu entschärfen?
Stand der Technik
Weltweit wird geforscht und getüftelt, um den Fischabstieg an Wasserkraftwerken zu verbessern. Folgende Ansätze sind bekannt, um den Fischabstieg schonender zu gestalten:
Leitrechen-Bypass-Systeme: Hierbei werden die Tiere durch einen Rechen davon abgehalten, in die Turbinen zu schwimmen. Die Fische werden stattdessen in einen Bypass geleitet, der sie schädigungsfrei ins Unterwasser oder in die Fischtreppe leitet. Solche Systeme haben sich bei kleinen Kraftwerken gut bewährt. Dies ist erfreulich, da kleine Anlagen durch kleinere Turbinen und schnellere Drehzahlen wesentlich gefährlicher sind für die Fische als grosse Kraftwerke. An diesen ist es hingegen durch die starke Strömung und dem vielen Schwemmmaterial schwieriger, mit Feinrechen als Schutzvorrichtungen von den Turbinen fernzuhalten. Die Versuchsanstalt für Wasserbau der ETH hat bezüglich grossen Kraftwerken umfassende Untersuchungen durchgeführt. Bisher sind die gewonnenen Erkenntnisse aber noch nicht in der Praxis angewandt worden.
Ein empfehlenswertes Video dazu:
Einsatz von fischschonenden Turbinen: Je weniger Schaufelblätter eine Turbine hat, je langsamer sie dreht und je weniger Spalten es zwischen den einzelnen Bauelementen gibt, desto höher ist die Überlebensrate der Fische. Daher wurden verschiedene Turbinentypen entwickelt, die diesbezüglich optimiert wurden. Beispiele dafür sind: die «Minimal Gap Runner» (optimierte Kaplan-Turbine), die «Very Low Head Turbine» (verringerte Fallhöhe und geringere Umdrehungszahl), die Alden Turbine (geringe Umdrehungszahl und nur zwei Rotorblätter) und die «Dive Turbine» (nach Lastanfall einstellbare Umdrehungszahl). Ihr Einbau in ein bestehendes Kraftwerk ist aber nicht einfach, da die Masse dieser Turbinen von herkömmlichen und bereits eingebauten Turbinentypen abweichen. Daher ist deren Einsatz mit umfangreichen baulichen Anpassungen an einem Kraftwerk verbunden. Grundsätzlich ist es vorzuziehen, Fische davon abzuhalten in die Turbine einzuschwimmen, als die Turbinen zu optimieren.
Fischschonendes Anlagemanagement: Das heisst, dass Kraftwerke bei zu erwarteten Fischabstiegen ihre Turbinen ausschalten (oder drosseln) und ihre Wehrklappen öffnen, so dass die Tiere gefahrlos an den Anlagen vorbeiwandern können. In Bezug auf den Aal wird dies in Deutschland bereits angewandt. Diese Massnahme setzt voraus, dass man genau weiss, wann die Tiere unterwegs sind. Das ist bei den meisten heimischen Fischen nicht der Fall, da die Wanderauslöser sehr komplex sind (Temperatur, Wasserstand, chemische Zusammensetzung des Wassers, genetische Programmierung usw.) und von Art zu Art variieren. Beim Aal beispielsweise weiss man, dass er sich gerne nachts bei Neumond auf Wanderschaft begibt.
Abschreckung: Neben den klassischen Rechen gibt es noch verschiedene weitere Massnahmen, mit denen versucht wird, die Tiere am Eintritt in die Turbinen zu hindern und in einen Bypass zu leiten. Beispiele dafür sind die Erzeugung eines elektrischen Feldes, Lichtblitze, die Erzeugung einer stehenden Welle oder die Verwendung eines «Blasenvorhangs» (Luftblasen, die in engen Abständen vor der Turbine ins Wasser geblasen werden).
Speziallösungen: Neben den obengenannten Massnahmen gibt es noch einige Speziallösungen. Eine davon ist die Hassinger-Heberinne, welche aktuell an einem Kraftwerk in Interlaken installiert wird. Bei dieser Anlage werden die Tiere vor den Turbinen mit einem Rechen aufgehalten und mit einer liftähnlichen Hebevorrichtung in einen Bypass überbracht. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Erfolgskontrolle.
Keine technische Lösung? Doch!
Jeder dieser Lösungsansätze hat seine spezifischen Vor- und Nachteile und auch die Kraftwerke sind individuell. Es gibt also kein Patentrezept für alle Kraftwerke. Das heisst aber nicht, dass es «keine Lösung» gibt! Vielmehr bedeutet das, dass für jedes Kraftwerk passende Lösungen gefunden werden müssen – und auch können. Wenn schliesslich ein Projekt umgesetzt wird, ist die Erfolgskontrolle entscheidend. Die Garantie auf Erfolg hat man nicht – die Chance auf einen Erkenntnisgewinn hingegen schon. Gemachte Erfahrungen (auch negative!) dürfen nicht in Schubladen verschwinden, sondern sollten veröffentlicht und bei kommenden Projekten miteinbezogen werden können.
In einigen Fällen kann eine solche Lösung auch radikal sein. Zum Beispiel sollte man auch den Rückbau eines Kraftwerks diskutieren können. Denn aus Fischsicht ist kein Kraftwerk immer noch besser als ein sogenannt «ökologisches Kraftwerk». Insbesondere bei Kleinstwasserkraftwerken, welche nur wenig Strom generieren und nur dank Subventionierungen betrieben werden können, sollte ein Rückbau in Betracht gezogen werden. Aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht macht es mehr Sinn, wenige, dafür grössere Kraftwerke zu betreiben statt viele Kleinwasserkraftwerke.
Was die Gesetzgebung sagt
Die Schweizer Politik hat sich der Problematik unserer Gewässer bereits angenommen. Mit der Revision des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) und der Gewässerschutzverordnung (GSchV), die 2011 in Kraft getreten sind, werden nun die Kraftwerke in die Pflicht genommen. Diese schreiben in Bezug auf die Fischwanderung vor, dass bis im Jahr 2030 von den gesamtschweizerisch 2075 kraftwerksbedingten Wanderhindernissen bei 970 der Fischaufstieg, der Fischabstieg oder beide Wanderkorridore wieder hergestellt werden müssen (3). Im Detail bedeutet dies, dass:
- an 724 Anlagen ein Fischabstieg / Fischschutz gebaut werden muss.
- an 511 kraftwerksbedingten Hindernissen Fischaufstiegshilfen (FAH) gebaut werden müssen.
- 166 bestehende FAH nachgebessert werden müssen, da sie aktuell nicht funktionstüchtig sind. (3)
Die Kraftwerksbetreiber werden finanziell nicht alleine gelassen mit diesen Anforderungen. Im Gegensatz zur EU-Wasserrahmenrichtlinie wird die Umsetzung des Schweizer GSchG finanziell entschädigt. Nach Artikel 15a bis 30 EnG werden bauliche und betriebliche Massnahmen zur Wiederherstellung der freien Fischwanderung an Wasserkraftwerken von der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid subventioniert. Die Massnahmen müssen allerdings von den Kraftwerksbetreibern vorfinanziert werden. Zugleich müssen sie eine Variantenstudie durchführen (lassen), um die bestmögliche Lösung pro Standort zu evaluieren. Mit den Umbauten, einer verpflichtenden Erfolgskontrolle und dem Unterhalt der neuen Anlagen haben die Kraftwerksbetreiber unbestreitbar einen Mehraufwand. Mit diesen Anstrengungen ist es jedoch möglich, die Wasserkraft ökologisch vertretbarer zu gestalten.
Sauberen Strom geniessen
Die Schweiz als «Wasserschloss Europas» verfügt nicht nur über grosse Ressourcen sauberen Wassers, sondern auch über ein grosses Wasserkraftpotenzial. Dieses kann und soll auch genutzt werden. Im Gegensatz zu anderen Energieträgern (Öl, Kohle, KKW) sind wir bei dieser Energiegewinnung nicht gezwungen, gravierende Nachteile (Klimaveränderungen, radioaktive Abfälle) in Kauf nehmen zu müssen. Denn die Auswirkungen von Wasserkraftwerken auf die Gewässer und deren Bewohner lassen sich weitgehend vermeiden! Dass die Möglichkeiten (noch) nicht ausgeschöpft werden und Massnahmen bis zum letztmöglichen Augenblick hinausgezögert werden, müsste nicht sein.
Es wird leider noch eine grosse Menge Wasser die Aare und den Rhein hinunter geflossen sein, bis Schweizer Strom aus Wasserkraft mit gutem Gewissen genossen werden kann. Bis dahin heisst es: Dranbleiben!
Quellen
- Weissmann, H. Z., Könitzer, C., Bertiller, A. & Sigmaplan (2009). Strukturen der Fliessgewässer in der Schweiz. Zustand von Sohle, Ufer und Umland (Ökomorphologie); Ergebnisse der Ökomorphologischen Kartierung. BAFU, Bern.
- SWV Schweizerischer Wasserwirtschaftsverband (2016). Wasserkraftwerke Schweiz. Abgerufen am 20.12.16, https://www.swv.ch/Fachinformationen/Wasserkraft-Schweiz/Kraftwerkspark
- Bammater, L., Baumgartner, M., Greuter, L., Hartel-Borer, S., Huber-Gysi, M., Nitsche, M., Thomas, G. (2015). Renaturierung der Schweizer Gewässer: Die Sanierungspläne der Kantone ab 2015. BAFU, Bern.
- Energiegesetz (EnG) vom 26. Juni 1998, Stand am 1. Januar 2017
(SR 730.0). - Jorde, K. (2012). Forschungsprogramm Wasserkraft. Überblicksbericht 2012. BFE, Bern.
Links zum Thema
www.fischwanderung.ch
fishpassage.umass.edu
www.forum-fischschutz.de
www.ibi.ch/angebote/strom/projekt-fischschleuse.html
www.wa21.ch
Die Autoren
Ruben Rod studierte Umweltingenieurwesen an der ZHAW in Wädenswil und baute den Weiterbildungslehrgang Certificate of Advanced Studies (CAS) in Süsswasserfische Europas an der ZHAW auf.
Eva Baier studierte Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich. Parallel dazu engagierte sie sich für die freie Fischwanderung in der Schweiz. Nach ihrem Abschluss gründete sie die Firma Fischwanderung.ch GmbH.
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