Von wegen stumm und taub
17 | 01 | 2022 PraxisText & Fotos: Robin Melliger 16735
17 | 01 | 2022 Praxis
Text & Fotos: Robin Melliger 1 6735

Von wegen stumm und taub

Fische, die «stummen Kreaturen»? Dieser alte Mythos ist definitiv widerlegt. Fische können nicht nur Geräusche von sich geben, sondern auch hören. Wie kommunizieren sie untereinander? Und welche Erkenntnisse können wir Fischer daraus ziehen? Diesen und weiteren Fragen ist «Petri-Heil» nachgegangen und hat Erstaunliches ans Tageslicht gebracht. 


Wer den Kopf unter Wasser hält, taucht in eine neue Welt ein. Nebst dem Auge erfährt dabei auch das Ohr Ungewohntes. Vielerlei Geräusche wie feines Knistern, lautes Klopfen oder ein hohes Pfeifen kommen zusammen. Fische machen Geräusche und nutzen diese zur Kommunikation. So zum Beispiel das Knabbern eines fressenden Fischs oder die Warnrufe von Schwarmfischen bei drohender Gefahr. 

Dass Fische nicht nur stumme und taube Wesen sind, ist uns Menschen allerdings noch nicht allzu lange bekannt. In den 1920er-Jahren konnte der Verhaltensforscher und spätere Nobelpreisträger Karl von Frisch die Hörfähigkeit bei einem Zwergwels nachweisen. Jedes Mal, wenn er einen Pfiff von sich gab, schüttete er Futter in das Becken. Dies wiederholte er so lange, bis der Wels von alleine bei einem Pfiff aus seinem Versteck kam. Somit bestätigte sich seine These. 

Hörstein eines Adlerfischs. © wikipedia.com


Wie gut hören Fische?

Da die Dichte des Wassers deutlich höher ist als jene der Luft, breiten sich Schallwellen im Wasser markant schneller aus. Die Schallwellen werden durch die näher beieinanderliegenden Moleküle schneller übertragen. An der Luft beträgt die Schallgeschwindigkeit temperaturabhängig lediglich rund 340 m/s. Dank dem Abstand unserer Ohren und durch die niedrigere Ausbreitungsgeschwindigkeit der Schallwellen wird die Ortung der Tonquelle an der Luft vereinfacht. Im Wasser bewegen sich die Schallwellen mit einer Geschwindigkeit von mehr als 1500 m/s. Während unser Gehör unter Wasser grosse Mühe hat, die Richtung eines Geräuschs zu lokalisieren, ist dies für die Fische kein Problem. 

Fische verfügen wie wir Menschen über ein Innenohr. Doch während bei uns die Geräusche über die Ohr­muschel aufgenommen werden, können Fische Geräusche und Vibrationen mit der ganzen Körperoberfläche aufnehmen. Da der Fischkörper eine ähnliche Dichte wie das umliegende Wasser hat, verfügen viele Fische über einen sogenannten Hörstein, der unabhängig vom Fischkörper in Schwingungen gerät und mit den Sinneszellen des Innenohrs verbunden ist. Einen anderen Weg zum Hörsinn haben beispielsweise Karpfenfische, Heringe oder Arten der Welsgattung. Sie verfügen über eine feine Kette von Knöchelchen, welche die Schwimmblase mit dem Gehörgang verbindet. Durch Schallwellen gerät die mit Gas gefüllte Schwimmblase der Fische in Schwingung. Diese Schwingungen der Schwimmblase werden somit direkt zum Ohr geleitet. Dadurch besitzen diese Fische ein wesentlich besseres Hörvermögen als solche ohne diese Einrichtung. Heringe sind damit in der Lage, Laute von Räubern wie Delfine schneller zu Orten. Die meisten Fische können Geräusche im Frequenzbereich von 30 bis1500 Hz wahrnehmen, einige Fische sogar bis zu 5000 Hz. Das menschliche Gehör kann mit 20 bis 20'000 Hz einen viel grösseren Bereich verarbeiten. Nur wenige Geräusche unter Wasser erreichen jedoch hohe Frequenzen. Eine Ausnahme bilden die Laute von Walen und Delfinen. Frequenzen von bis zu unglaublichen 280'000 Hz wurden dokumentiert. Diese Laute sind für Artgenossen über viele Kilometer hörbar. 

 Die Ohren der meisten Fische befinden sich im Inneren des Kopfs. Anders sieht dies bei Haien aus. Zwei kleine Körperöffnungen sind auf beiden Seiten des Kopfs erkennbar. Der verbundene Gehörgang führt direkt in das Innenohr.

Die Ohren der meisten Fische befinden sich im Inneren des Kopfs. Anders sieht dies bei Haien aus. Zwei kleine Körperöffnungen sind auf beiden Seiten des Kopfs erkennbar. Der verbundene Gehörgang führt direkt in das Innenohr.


Wie kommunizieren Fische?

Fische kommunizieren untereinander, um sich gegenseitig vor Gefahren zu warnen, um auf sich aufmerksam zu machen (beispielsweise beim anderen Geschlecht) oder um ihr Territorium zu verteidigen. Geräusche werden dabei mit verschiedenen Mitteln erzeugt. Einige Fische kommunizieren mit der Luftblase, indem sie stossweise die Luft herauspressen. Andere Fische erzeugen Laute durch das Zusammenreiben von Zähnen oder sogenannten «Schlundplatten». Diese Knochen dienen hauptsächlich der Nahrungsverkleinerung oder dem Aufbrechen von Muschel- und Krebspanzern, werden aber auch als Kommunikationsmittel angewendet. Viele Arten der Stachelmakrele oder auch der Trommler sind dafür bekannt, beim Fang rollende oder trommelnde Geräusche zu erzeugen, welche sie in Stresssituationen oder bei Aufregung von sich geben. Mit diesen Geräuschen warnen sie ihre Artgenossen vor Gefahr.  Eine besondere Kommunikationsweise haben offenbar die Heringe. Durch Druckübertragung der Luft von der Schwimmblase in den Analtrakt erzeugen sie in ihrem Darm pulsierende Geräusche. Diese oft auftretenden Flatulenzen dieser Fische faszinieren die Meeresbiologen, denn sie sind davon überzeugt, dass die Geräusche kommunikativen Zwecken dienen. Je mehr Heringe sich in einem Schwarm aufhalten, desto mehr wird kommuniziert. Und damit ist eine soziale Kommunikation, die nicht nur vor Gefahr warnt, sehr wahrscheinlich.  

 Bei Schwarmfischen wie Felchen ist Kommunikation essenziell. © Quirin Kübli

Bei Schwarmfischen wie Felchen ist Kommunikation essenziell. © Quirin Kübli


Wie lassen sich Fische durch Geräusche beeinflussen?

Angler nutzen die gute Hörfähigkeit der Fische und die gute Schallverteilung zu ihrem Vorteil. In vielen Wobblern, Jerkbaits und Twitchbaits befinden sich Kugeln, welche bei der Animation raschelnde Geräusche von sich geben. Die Fische werden dadurch angelockt und zum Anbiss verleitet. 

Welse sind für ihre akustischen Jagdzüge bekannt. Dafür haben Angler ein spezielles Mittel entwickelt, um Welse anzulocken. Das sogenannte «Wallerholz» besteht aus einem langen Schaft, an dessen Ende sich ein abgerundeter Kopf befindet. Die ploppenden Geräusche, die bei der korrekten Anwendung entstehen, imitieren Fress­geräusche von Welsen. Dadurch werden Fische aus grossem Umkreis angelockt.

Fische sind jedoch nicht dumm und lernen aus den negativen Erlebnissen, welche sie in Verbindung mit einem gewissen Ton gemacht haben. In stark befischten Gewässern ist der Einsatz von Geräuschquellen zur Anlockung der Fische mitunter kontraproduktiv. In Gewässern, in denen laute Köder oder das Wallerholz selten bis gar nicht benutzt werden, kann er dem Angler jedoch wahre Sternstunden bereiten. 

Meine Kollegen und ich erlebten diesen Herbst etwas Besonderes: Als wir in der Nähe von Schleusen im Süden von Holland angelten, fiel uns auf, dass die Fische beim Ertönen einer Sicherheitssirene deutlich aktiver wurden. Denn nach dem Ertönen der Sirenen öffnete sich die Schleuse und liess Tausende Liter Wasser durchströmen, was die Kleinfische zu einfacher Beute machte. Bereits das Geräusch der Sirene versetzte die Egli in Jagd­stimmung. Dann galt es, den Köder unbedingt im Wasser zu haben.

 Das Wallerholz ist das bekannteste akkustische Lockinstrument in der Süss­wasser­fischerei.

Das Wallerholz ist das bekannteste akkustische Lockinstrument in der Süss­wasser­fischerei.

 Eine Bachforelle, welche in einem Privatbach auf einen Rasselwobbler hereinfiel.

Eine Bachforelle, welche in einem Privatbach auf einen Rasselwobbler hereinfiel.


Kuriosum Höhlenfisch

Die Wissenschaft kennt erst einen Fisch, der weder über Seh- noch effizientes Hörvermögen verfügt. Der Höhlenfisch Typhlichthys subterraneus kann nur einen kleinen Frequenzbereich bis zu 800 Hertz wahrnehmen. Darüber hinaus ist der Fisch absolut taub. Dies bestätigen Tests der Yale Universität in New Haven. Man würde denken, dass ein Tier, das in ständiger Dunkelheit lebt, sich auf andere Sinne als den Sehsinn sensibilisieren sollte. Die Höhlenfische stehen daher speziellen Herausforderungen gegenüber. Sie müssen trotzdem Wege finden, um Feinden aus dem Weg zu gehen, Nahrung zu finden und ihre Partner zu erkennen. Nun stellt sich die Frage, warum diese Höhlenfische einen in der dunklen Umgebung so essenziellen Sinn wie das Gehör reduziert haben. Offensichtlich muss ein Vorteil darin bestehen, höhere Tonlagen nicht mehr wahrnehmen zu können. Wie sich herausstellte, erzeugen Turbulenzen im Wasser und die von der Decke fallenden Tropfen laute Hintergrundgeräusche – und dies hauptsächlich in den Tonhöhen oberhalb von 800 Hertz. Diese nicht überlebenswichtigen Geräusche werden durch das eingeschränkte Hörvermögen ausgeblendet. Erstaunlich, wie sich die Tiere ihrer Umgebung anpassen.


> Auge in Auge mit den Fischen

> Das Geruchs- und Geschmacksorgan der Fische

> Das Seitenlinienorgan der Fische

> Das Kleid der Fische

 

1 Kommentare


Peppe Puglisi

18 | 01 | 2022

Super Beitrag! Gruss aus Basel Peppe


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